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Schattenhaus

Schattenhaus

Titel: Schattenhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex Reichenbach
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Sie zog Schuhe an, lief nach unten und tat alles, was Mami ihr befohlen hatte: Ein Küchenhandtuch nehmen und um die Hand wickeln und dann das Fenster in der Küche aufmachen. Dann die Haustür auf. Dann wieder hoch. Nun musste sie sich die Hände waschen und den schweren Revolver mit dem Handtuch abputzen und in das Handtuch gewickelt in ihren Turnbeutel und das Ganze in ihr Köfferchen zu der Munition tun. Sie versuchte nicht hinzuhören, wenn Geräusche aus dem Schlafzimmer kamen. Papis Dämonen waren noch nicht ganz tot. Gerade hatte sie sich wieder ins Bett verkrochen, da stand Wolke in der Tür mit ihrem rosa Hasen. «Hab Angst», flüsterte sie. Merle lief hin und nahm sie in den Arm. «Psst!», sagte sie und schloss die Tür. «Wir müssen leise sein. Ich glaube, es ist ein Räuber eingebrochen. Ich hoffe, er hat Mami und Papi nichts getan.» Sie verkrochen sich unters Bett, damit sie vor dem Räuber geschützt waren. Und dort warteten sie sehr, sehr lange, bis alles still war. Irgendwann wusste Merle, dass sie nachschauen gehen musste. «Ich gehe jetzt und gucke», sagte sie zu Wolke. Sie hörte sich mutiger an, als sie war. Wolke wollte nicht alleine bleiben, hielt sich an ihrer Hand fest, den rosa Hasen im anderen Arm, und kam mit.
    Merle knipste das Licht im Schlafzimmer an. Ihre Eltern lagen völlig reglos. Den Papi sah Merle nicht an. Sabrinas Kopf war kaputt. Merle und Wolke drückten sich am Papi vorbei und krochen übers Bett zu Sabrina und schüttelten sie, aber sie reagierte nicht. Merle wollte nicht, dass ihre Mami tot war. Warum hatte sie mit dem Dämon sterben müssen?
    Sie hätte es eigentlich wissen müssen. Dass sie mit den Dämonen auch ihre Eltern töten würde. Aber so richtig verstand sie es erst jetzt. Nach und nach in dieser Nacht kam ihr das entsetzliche Wissen, dass es nicht mehr rückgängig zu machen war. Dass ihre Mami tot war und ihre Seele auf einem anderen Planeten. Und sie und Wolke jetzt für immer und ewig ganz allein waren auf der Welt.

[zur Inhaltsübersicht]
Gegenwart
    W inter saß reglos da und ließ die Dinge auf sich wirken, die er eben gehört hatte. Ihm war sehr recht, dass Ulrike Stamitz gerade hinausgegangen war. Sie hatte einen Anruf bekommen und hatte Winter darum gebeten, ihn allein entgegennehmen zu können.
    Die zerschossene Tür. Er hatte immer gewusst, dass sie wichtig war. Mit den wirren Aussagen, die Merle gegenüber Ulrike Stamitz gemacht hatte, ließ sich das Mysterium klären: Die Tür gehörte ursprünglich weder zum Gästezimmer noch zum Elternschlafzimmer, sondern zu Merles Kinderzimmer. Die Ärmste hatte sich irgendwann nachts eingeschlossen, um sich vor den immer unerträglicher werdenden Übergriffen des Vaters zu schützen. Als dieser plötzlich vor verschlossener Tür stand, hatte er, statt das Signal seiner Tochter zu respektieren, wutentbrannt den Revolver aus dem Schuppen geholt und sich den Weg zu seinem Opfer frei geschossen.
    Hätte Winter es nicht wissen müssen? Was hatte Merle bei der Vernehmung gesagt: Sie wisse, wer die Tür zerschossen habe, aber ihr Vater habe ihr verboten, es jemandem zu verraten. Hätte er nicht verdammt noch mal wissen müssen, dass in diesem Fall nur der Vater selbst der Schütze gewesen sein konnte?
    Winter erinnerte sich an seine Frustration in jenem Moment, und wie er Merle angebrüllt und geschüttelt hatte, damit sie herausrückte mit dem, was sie wusste, als hätte sie nicht aus ihrer Sicht schon alles gesagt, was sie sagen durfte. Kein Wunder, dass sie zu weinen anfing und zumachte. Ein wütender Mann war genau der Außenreiz gewesen, den Merle in diesem Augenblick nicht gebrauchen konnte.
    Überhaupt war die ganze offizielle Vernehmungssituation nicht der richtige Rahmen gewesen. Sie hätten Merle von Wolke trennen und sie mit Hilal Aksoy alleine lassen sollen. Dann hätten sie vielleicht mehr erfahren. Die Kinderspezialistin hatte ihnen überhaupt nicht geholfen.
    Ulrike Stamitz kam wieder herein, einen sorgenvollen Ausdruck im Gesicht. «Was passiert jetzt mit Merle?», fragte sie.
    «Geht es ihr denn besser?», fragte Winter zurück. Er vermutete, dass die Anruferin Andrea Vogel gewesen war, die zwar selbst noch im Krankenhaus lag, der es aber gut genug ging, ein Auge auf die schwerverletzte Merle zu haben.
    «Ihr Zustand ist stabil, was auch immer das heißt. Die Ärzte denken wohl, dass sie nicht mehr in akuter Lebensgefahr ist. Herr Winter, was passiert mit ihr, wenn sie wieder gesund wird? Wir

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