Schattenhaus
Zimmer, das etwa acht Quadratmeter groß war, Zellengröße also. Er setzte sich auf sein Bettsofa und packte aus.
«Also gut. Es war so, dass ich kurz vor meiner Entlassung erfahren habe, dass Frau Feldkamp zwei Pflegekinder aufgenommen hat.»
Als Birthe den Besuchsraum betrat, mit einem strahlenden, fast triumphierenden Blick, hatte sie zwei Kinder dabei, zwei kleine Mädchen.
«Das sind meine beiden Kleinen», erzählte sie freimütig. «Das hier ist Melli und das Wolke. Ich habe sie jetzt erst mal zur Pflege, aber Adoption ist nicht ausgeschlossen, die beiden sind nämlich Waisen. Weißt du, es war so eine Art Gottesurteil: Ich hatte mich um eine Pflegestelle beworben, und zuerst bekam ich einen vierzehnjährigen Jungen angeboten, mit einer echt schwierigen Vorgeschichte. Ich hab gesagt, ich fürchte, ich werde überfordert sein. Die Vermittlerin sagte voll arrogant, sie hätten nur schwierige Kinder, und wenn ich was Einfaches wollte, sollte ich doch selber eins bekommen. Ich hab dann gesagt, ich würde ein behindertes Kind nehmen, dafür sei ich auch qualifiziert. Während sie nachgesehen hat, ob sie was Passendes haben, hab ich ein Gespräch zwischen zwei anderen Mitarbeitern mitbekommen über ein Geschwisterpaar, das möglichst zusammen vermittelt werden solle. Die jüngere Schwester sei geistig zurückgeblieben, und die Kinder hätten irgendwelche Verbrechen erlebt. Die eine Großmutter hätte jetzt unterschrieben, dass sie einer Adoption zustimmen würde, aber von der anderen Großmutter in Lauterbach würden sie noch auf die Reaktion warten. Da hab ich mich eingemischt und gesagt, ich hätte den Verdacht, dass es sich um die Töchter einer verstorbenen Schulfreundin von mir handelt und dass ich die gerne nehmen würde. Und da ich ja selbst aus Lauterbach bin, könnten die Kinder immer ihre Großmutter besuchen, wenn ich zu meinen Eltern fahre. Und ich sei Sonder- und Heilpädagogin und hätte noch eine Ausbildung als Kinder- und Jugendpsychotherapeutin. Was meinst du, wie die auf mich angesprungen sind.
Und jetzt sind Melli und Wolke seit zwei Wochen bei mir, und wir sind superglücklich zusammen. Ich arbeite jetzt nur noch mit halber Stelle.»
Der Name Melli durchfuhr Matthias wie ein süßer Schlag. Melli. Wie seine tote Schwester. Ein Gottesurteil, hatte Birthe gesagt. Nicht nur für sie, auch für ihn.
«Ich habe dann später bei Birthe angerufen und sie gefragt, ob ihr Angebot noch steht, dass ich zu ihr ziehen kann. Das ist ein bisschen schwer zu erklären, aber ich hab es so empfunden, dass Birthe ihren pädagogischen Trieb jetzt an den Kindern austoben konnte und nicht mehr mich dafür benutzen musste. Das hat mich Birthe gegenüber in eine gleichberechtigtere Position gebracht. Ich habe noch dazugesagt, ich würde auch Vaterpflichten übernehmen. Damit bloß klar ist, wie die Rollenverteilung sein soll, also, dass ich nicht als das dritte Kind da einziehen will, sondern mich an ihrer Seite sehe.
Und als sie dann zugestimmt hat – ich hatte damit gar nicht gerechnet, nachdem es ja etwas abgekühlt war von ihrer Seite aus –, als sie ja sagte, war ich jedenfalls sehr glücklich. Ich habe dann gemerkt, dass sie mir wohl doch wichtig war.»
«Vielleicht ging es ja auch gar nicht um Frau Feldkamp», warf Winter ein. «Vielleicht haben Sie sich darauf gefreut, wieder ein kleines Mädchen betütteln zu können, das Ihnen als Ersatz für ihre tote Schwester dienen kann.»
Olsberg sah erschrocken, dann grimmig drein. «Na toll. Ich wusste, dass Sie das alles in den Dreck ziehen würden. Am liebsten würde ich gar nichts mehr sagen. Am Ende wird es ja auf jeden Fall so aussehen, dass Sie mir irgendwas anhängen, egal, was ich jetzt sage.»
«Ein bisschen mehr Vertrauen dürfen Sie schon zu mir haben», sagte Winter, der auf einem Hocker saß, betont väterlich, mit dem Gefühl zu lügen. «Sie wissen doch, dass ich Sie mag und Ihnen in Ihrem neuen Leben keine Steine in den Weg legen will.» Es zahlte sich nun vielleicht aus, dass er Olsberg neulich zu der Klausur begleitet hatte. Tatsächlich pausierte der junge Mann nur kurz und redete dann weiter.
Er sei also einige Wochen später, nach seiner Haftentlassung, bei Feldkamp eingezogen. Alles sei sehr harmonisch gewesen. Er habe allerdings den Eindruck gehabt, dass das ältere der Pflegekinder eifersüchtig auf ihn gewesen sei.
«Wie meinen Sie das, eifersüchtig?»
«Na ja, es war ja so, dass ich und Birthe dann sofort eine
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