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Schattenhaus

Schattenhaus

Titel: Schattenhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex Reichenbach
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könnten. Oder zur Hilal. Oder zur Janine nach Kanada.
    Dass sie und die Schwester im Heim unglücklich waren, erschien Winter kaum verwunderlich. Kinder, die ihre Eltern auf derart grausame Weise verloren hatten, brauchten ein warmes Nest und eine feste Bezugsperson, um wieder Vertrauen zur Welt aufbauen zu können. Ganz bestimmt kein unpersönliches Heim.
    Aksoy erklärte den Mädchen, in ihrer eigenen Wohnung sei auf Dauer kein Platz, und die Oma im Vogelsberg sei schon alt und im Augenblick mit der Pflege des kranken Opas überlastet. Aber warum die Oma nicht wenigstens zu Besuch gekommen war, dazu fiel ihr keine Erklärung ein.
    Merle war weinerlich und wenig kooperativ; entsprechend schleppend lief das Gespräch. Die kleine Schwester mit dem verrückten Namen Wolke sagte sowieso kein Wort, wirkte zurückgeblieben für ihre drei Jahre. Nach wenigen Minuten Vernehmung kroch Wolke ihrer Schwester auf den Schoß und blieb dort daumenlutschend und schweigend sitzen, ihren weißblonden Schopf an Merle geschmiegt. Als «Regression» erklärte die polizeiliche Kinderspezialistin Rita Lenz später in ihrem Bericht Wolkes Verhalten. «Ein Rückzug in eine frühere Entwicklungsstufe nach einem traumatischen Erlebnis.»
    Winter beobachtete die Vernehmung still aus der Zimmerecke. Die Fragen stellte die fesche Rita – so der allgemeine Spitzname der Kinderspezialistin –, die er zuvor genau instruiert hatte.
    Die anfänglichen Fragen zur Tatnacht waren offensichtlich quälend für beide Kinder. Winter gab Rita daher leise den Hinweis: «Abbruch und nächstes Thema.» Über die Tatnacht waren die Mädchen direkt nach dem Ereignis schon zweimal ausführlich befragt worden. Das nächste Thema war der Verlauf des Tages davor. Merle machte einsilbige, uninteressante Angaben. Es schien nichts Wichtiges vorgefallen zu sein.
    Nach der Großmutter väterlicherseits befragt, behauptete Merle, diese nicht zu kennen, denn die sei böse. Die zusätzliche Frage: «Wann hast du die Oma Renate aus Kelkheim zuletzt gesehen?», beantwortete sie entsprechend mit «Noch gar nie». Das schien eindeutig. Dann kam die erste Überraschung.
    «Hatte die Mami einen Freund?», fragte Rita. Darauf Merle: «Nein.»
    Die fesche Rita holte zur nächsten Frage aus, da sagte Merle plötzlich: «Aber ich weiß ein Geheimnis.» Das Geheimnis wolle sie nur der Hilal sagen.
    Aksoy spielte mit, hockte sich neben Merle auf das Kindersofa, und alle hörten, wie das Mädchen ihr ins Ohr flüsterte: «Die Sabrina hat heimlich einen Freund, das darf aber niemand wissen.»
    Winter musste an sich halten, nicht «Also doch!» zu rufen.
    Aksoy sah Merle gespielt konspiratorisch an und flüsterte dann ihrerseits vernehmlich dem Kind ins Ohr: «Und wie heißt der Freund?»
    «Sumati», hauchte Merle zurück.
    «Wie?»
    «Sumati.»
    «Und mit Nachnamen?»
    «Der hat keinen Nachnamen. Der kommt von einem anderen Planeten.»
    Aksoy überspielte, was sie davon hielt.
    «Und, war der manchmal bei euch zu Hause?»
    «Nee. Aber die Mami spricht immer im Internet mit dem. Und manchmal, aber nur manchmal hat sie ihn in der Stadt gesehen.»
    Winter notierte, dass er dringend noch mal an den Vogel’schen Rechner musste.
    Da kam schon die nächste Überraschung. Aksoy nutzte das «heimliche» Flüstergespräch für eine weitere Nachfrage: «War mal ein Mann mit einem Motorrad bei euch?»
    «Jaaa.»
    «Wann war das?»
    «Als das passiert ist. Das Schlimme.»
    «Kanntest du den?»
    «Nee.» Aksoy drehte sich kurz zu Winter um und hob die Brauen, bevor sie weitermachte.
    «Wie hieß der denn?»
    «Weiß nicht.»
    Aus dem Hintergrund fragte Winter: «Hat der Motorradmann die Mami erschossen?»
    «Weiß nicht», sagte Merle abwehrend.
    Das Kind war plötzlich unruhig und unkonzentriert und zappelte mit den Beinen. Winter raunte, dass Rita übernehmen und das geplante Frageprozedere fortsetzen sollte. Aksoy setzte sich wieder auf ihren Platz.
    «Euer Gästezimmer hat keine Tür», begann Rita Lenz nach einem Blick auf ihre Notizen. «Merle, was ist denn mit der Tür passiert?»
    Merle schob ihre kleine Schwester gegen deren Widerstand vom Schoß, sprang auf und hüpfte durchs Zimmer. «Weiß ich nicht», sagte sie dabei schnippisch.
    Winter war sich sicher, dass sie gerade log. Nun mischte er sich selbst ein. «Hat jemand die Tür kaputt geschossen?»
    Merle hüpfte ein Himmel-und-Hölle-Muster. «Ja», presste sie zwischendurch hervor.
    «Wer war das, der die Tür kaputt geschossen

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