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Schattenhaus

Schattenhaus

Titel: Schattenhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex Reichenbach
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hat?»
    «Weiß nicht.» Gelogen. Sie hüpfte weiter.
    «Warum hat derjenige die Tür kaputt geschossen?»
    «Weiß ich nich, weiß ich nich, weiß ich nich», verkündete Merle singend im Rhythmus ihres Hüpfspiels.
    «Hat dir jemand gesagt, dass du das nicht sagen darfst?»
    Sie nickte wortlos, aber ausdrucksstark beim Hüpfen.
    «Wer hat dir das gesagt?»
    «Der Thomas.»
    Ihr Vater also. Was eigentlich für die Diebstahlthese und einen der Familie bekannten Täter sprach.
    Nach mehreren weiteren Fragen zu der Tür, auf die Winter keine brauchbare Antwort erhielt, hatte er genug. Er stand auf, ging vor Merle in die Hocke und hielt das Mädchen an beiden Schultern fest. «Merle, jetzt hör mir mal gut zu. Das hier ist kein Spiel. Etwas sehr, sehr Schlimmes ist passiert. Jemand hat deine Eltern getötet. Du musst uns jetzt alles sagen, was du weißt.»
    Merle sah ihn mit großen unglücklichen Augen an, ihr Gesicht verzerrte sich. Aus dem Hintergrund traf Winter der missbilligende Blick beider Frauen. «Andi, lass», sagte ganz leise Hilal Aksoy.
    Er machte weiter. «Merle, bitte sag es mir: Wer hat die Tür zerschossen?»
    Merle sagte keinen Ton und schluchzte los.
    «So, Andreas, vielen Dank für die professionelle Hilfe», kommentierte mit beißender Ironie Rita Lenz. «So erreicht man bei Kindern gar nichts.»
    Hilal Aksoy war plötzlich bei Winter, zog Merle von ihm weg und nahm das Mädchen tröstend in den Arm. Er stand auf, gereizt.
    «Na, wenn ihr Frauen das besser könnt, werde ich ja hier nicht mehr gebraucht», verkündete er.
    Draußen vor der Tür hoffte er, dass sein Spruch zum Abgang wenigstens ironisch geklungen hatte und nicht beleidigt. Was ihn getroffen hatte, war nicht die Rüge der feschen Rita. Die konnte ihn mal. Sondern der missbilligende Blick von Hilal Aksoy.
    Dabei war es nicht gerade das erste Mal, dass Aksoy eine weibliche Zeugin vor seinen Verhörmethoden schützen wollte. Im Gegenteil. Ihr feministisches Gutmenschentum war ja gerade der Grund, warum er sie bis vor kurzem auf den Tod nicht hatte ausstehen können. Dumm bloß, dass das jetzt etwas anders war.
    Dumm auch, dass die beiden Frauen mit ihrer Kritik an ihm scheinbar recht behielten: Im Videoraum musste er verfolgen, wie Merle Vogel im weiteren Verlauf einfach gar nichts mehr sagte, genau wie ihre Schwester. Die fesche Rita brach die Vernehmung nach etwa fünf weiteren Minuten ab. Winter wollte gerade das Gerät ausschalten, da hörte er, wie Rita Lenz zu Hilal Aksoy vernehmlich sagte: «Der Winter macht seinem Ruf ja alle Ehre.»
    Winter drückte den Ausknopf, marschierte den Flur entlang und öffnete die Tür des Kindervernehmungsraums. «Was für einen Ruf habe ich denn?», fragte er herausfordernd die fesche Rita.
    «Du hast das gehört? Sorry. Tja, frauenfeindlich, vorsintflutliche Vernehmungsmethoden. Das hier hast du jedenfalls gründlich verbockt.»
    «Woher weißt du das eigentlich? Hättet ihr mich machen lassen, wäre das hier ganz anders ausgegangen.»
    «Ja, ja, ganz bestimmt. Du bist ja auch der große Kinderexperte. Wie man an deinen Suggestivfragen gehört hat. Und generell beratungsresistent, das ist bekannt.»
    Bevor er dazu etwas sagen konnte, zischte Rita mit ihrer großen Tasche ab wie auf der Flucht. «Findest du das auch?», fragte Winter Aksoy, als er und sie mit den Kindern alleine waren. «Vorsintflutliche Verhörmethoden, meine ich. Was du betreffs frauenfeindlich von mir hältst, weiß ich ja.»
    Aksoy lachte, dann wurde sie ernst. «Du neigst dazu, auf Verdächtige, die nichts sagen, Druck auszuüben. Nahekommen, Anbrüllen und so. Laut den neueren Lehrbüchern soll die Brüllmethode kontraproduktiv sein. Keine Ahnung, ob das überhaupt stimmt. Dazu hab ich zu wenig Erfahrung.»
    «Danke für die Info», sagte er trocken, an den Sekretär an der Wand gelehnt, und sah zu, wie sie ihren Mantel anzog. Die Kinder hockten auf dem Teppich und spielten mit Bauklötzen. Ihm fiel ein, dass er Vernehmungen durchzuführen vom Kollegen Glocke gelernt hatte, damals, als sie beide noch nicht bei der Kripo waren.
    «Dass du beratungsresistent bist, kann ich übrigens nicht bestätigen», sagte Aksoy lächelnd, öffnete ihre Haare, schüttelte sie und band sie mit zwei Handgriffen neu zum Zopf.
    «Na, immerhin», sagte Winter. Er schaffte es, zurückzugrinsen. Danach fühlte er sich besser.
    «Da fällt mir noch was ein», sagte Aksoy. Sie kam ganz dicht heran, sodass er sie riechen konnte, und erzählte leise:

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