Schattenhaus
vorne bis hinten ein Fake. Ich lass den auffliegen. Aber noch hab ich nicht genug in der Hand.»
«Bist du dir sicher, dass du dich da nicht in etwas verrennst?», fragte Mark. Er hatte keinen Zweifel, dass Grafton ein eitler Selbstdarsteller war und sein Ruhm teils unverdient. Aber selbst wenn der Adelstitel frei erfunden war – das würde die Leitung der Frankfurter Uni nicht interessieren. Man hatte Grafton ja nicht wegen seines Titels, sondern wegen seiner fachlichen Meriten eingestellt.
«Wart’s ab», sagte André. Eine Woche später präsentierte er weitere Früchte seiner rachegetriebenen Recherchen. Er hatte sich sämtliche Fachartikel sowie die Doktorarbeit Graftons besorgt und Textschnipsel davon in die Suchmaschine eingegeben. Dabei stellte sich heraus: Teile von Graftons Arbeiten waren von anderen Forschern wortwörtlich abgeschrieben, oft seitenweise. Bei der Suche stieß André zufällig auch auf einen Artikel einer Forscherin, die ebenfalls auf Grafton nicht gut zu sprechen war und ihm neben Abschreiberei zahlreiche fachliche Fehler nachwies. «Und das Beste», rief André, «ist der letzte Satz. Pass auf, ich übersetz ihn dir:
Auffällig ist, dass praktisch jede unerwartet frühe Datierung eines Fundes der europäischen Frühgeschichte mit dem Namen Grafton assoziiert ist. Wie verlässlich diese Datierungen sind, wird man erst wissen, wenn sie von unabhängigen Laboren und Wissenschaftlern überprüft wurden.
Ist das nicht ein Hammer?»
Dass André darauf abfuhr, war klar. Mark aber war hin und her gerissen. Vielleicht war die Autorin dieses Anti-Grafton-Artikels bloß neidisch auf Graftons Ruhm. Konnte es denn sein, dass Grafton seit Jahren falsche Datierungen produzierte, ohne dass es jemandem aufgefallen wäre? Aber andererseits: Falls Graftons Datierungen wirklich nicht in Ordnung waren, würde das für André die Rehabilitierung bedeuten. Unter solchen Umständen müsste die Uni seine Doktorarbeit neu zulassen und die Gutachten für ungültig erklären.
«Ich mail die mal an», sagte André.
«Wie? Wen?»
«Na, diese Loriston, die den Artikel geschrieben hat. Ist eine Französin, arbeitet an der Uni in Aix-en-Provence.»
Wieder eine Woche später kam André nach Frankfurt, mit einer dick gepackten Tasche, die erkennen ließ, dass er eine Weile bleiben wollte. Gemeinsam mit der Französin und einem Archäologen aus London, der auch an Graftons Datierungen zweifelte, hatte er einen Plan ausgeheckt. Sie wollten die Probe aufs Exempel machen, eine Neudatierung an den beiden berühmtesten Rautenkeramik-Funden: einem Ziegen-Jungtierschädel und einem menschlichen Babyschädel, die gemeinsam in einem Grab gefunden wurden. Die Kosten für die Neudatierung in Oxford würde der englische Kollege tragen. Das Risiko aber lag bei André. Denn die Schädel befanden sich in Graftons privatem «Giftschrank». Die Museen hatten nur Repliken. Der Londoner Forscher hatte Grafton schon vor Jahren mehrfach angeschrieben und ihn gebeten, von den Funden Proben herauszugeben, damit die Datierung überprüft werden könne. Grafton hatte sich stets geweigert. Dies sei überflüssig und beschädige nur die kostbaren Funde. Nun hatte André die Aufgabe, an die beiden Schädel zu kommen, mit welchen Methoden auch immer.
André benahm sich in den folgenden Wochen wie ein Privatdetektiv. Oder wie ein Verbrecher. Je nachdem, wie man’s sah. In einem Mietauto – die Brüder hatten beide keines – verbrachte er seine Tage im Kettenhofweg und spionierte das Grafton’sche Haus aus. Mark kam das alles ganz unwirklich vor.
Nach einiger Zeit erzählte André, er wisse jetzt, wie er vorgehen werde. «Graftons Frau hat ja dummerweise ihr Architektenbüro im Souterrain. Aber dienstagvormittags ist sie immer weg, und er ist in der Uni. Außer der Putzfrau ist dann niemand im Haus. Ich klingele einfach und sage der Putzfrau, ich bin ein Doktorand des Professors und soll von ein paar Knochen Proben zur Datierung herausbohren, weil er das vergessen hat. Dann geh ich hoch, bohr den Schrank auf, schnapp mir die beiden Schädel – und weg bin ich.»
«Weißt du überhaupt, wo dieser Giftschrank steht?»
«So ungefähr. Ich war doch mal zu Graftons Geburtstag eingeladen. Da hat er ihn uns gezeigt. Ein stinknormaler abschließbarer Aktenschrank. Ich hab damals noch gesagt, ist das wirklich sicherer, als die Knochen in der Uni aufzubewahren? Und er so: ‹Diese Waisenknaben haben dort nicht mal eine Alarmanlage.›»
«Und
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