Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schattenhaus

Schattenhaus

Titel: Schattenhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex Reichenbach
Vom Netzwerk:
wenn die Putzfrau dir nicht aufmacht oder dich nicht reinlässt? Oder wenn sie Grafton in der Uni anruft und fragt, ob er dich wirklich geschickt hat?»
    «Wenn sie nicht aufmacht, muss ich’s durch den Garten versuchen. Sie lässt immer die Terrassentür auf. Vielleicht kann ich mich da durchschleichen. Und ansonsten muss ich halt improvisieren.»
    Am gestrigen Dienstagvormittag war André dann zu seinem Diebeszug aufgebrochen und nicht wieder zurückgekehrt. Auf seinem Handy war er nicht zu erreichen. Letzteres war nicht verwunderlich, denn das Handy hatte André natürlich immer ausgestellt, wenn er zu seinen Überwachungsmissionen aufbrach, sicher auch diesmal.
    Am Nachmittag gegen fünf aber war Mark so unruhig, dass er sich zum Kettenhofweg aufmachte. Er hoffte, dass er André dort antreffen würde, wie er in seinem Mietwagen saß und das Haus beobachtete. Wahrscheinlich war bloß irgendwas dazwischengekommen und hatte ihn von dem geplanten Coup abgehalten.
    Auf der Senckenberganlage Richtung Kettenhofweg unterwegs, entdeckte Mark die polizeiliche Absperrung. Der Anblick fuhr ihm in die Glieder. Hoffentlich nur ein Unfall, dachte er. Dann fiel ihm ein, dass von dem Unfall auch André betroffen sein könnte. Mark ging langsam weiter bis an die Ecke zum Kettenhofweg. Ein paar Schaulustige standen an dem Absperrband. Vor Graftons Villa parkten gleich mehrere Polizeiautos mitten auf der Straße. Ein Beamter in weißem Schutzoverall kam soeben aus der Haustür, eine Tüte voller Kram in der Hand. Blitzschnell wandte Mark sich ab und strebte in langen Schritten fort Richtung U-Bahn. Er war so aufgewühlt, dass er kaum klar denken konnte. War André erwischt worden?
    In der ratternden U-Bahn nach Hause beruhigte er sich. Klar, die Polizei war da, weil Grafton den Einbruch in seinen Schrank entdeckt hatte und das natürlich nicht gnädig hinnahm. André war nach seinem Diebstahl bestimmt direkt nach Bamberg gefahren. Wahrscheinlich hatten sie sich nur missverstanden.
    Mark wartete mit dem Anruf in Bamberg, bis er selbst zu Hause war.
    Freizeichen.
    Verdammter, verdammter Mist. Er hatte keine Ahnung, was er jetzt tun sollte. Um sechs rief ausgerechnet seine Mutter an. Die hatte keine Ahnung von der ganzen Aktion, sie wusste nur, dass André im Augenblick in Frankfurt war. Mark konnte aber nicht so tun, als wäre nichts. Also faselte er irgendwas, dass er sich um André sorge, weil der heute Mittag zum Einkaufen rausgegangen und bisher nicht zurückgekommen sei. Seine Mutter daraufhin ängstlich: «Er wird sich doch nichts angetan haben?»
    «Mama, mach dir keine Sorgen», sagte Mark. Doch seine brüchige Stimme verriet seine eigenen. Die Idee, dass André tot sein könnte, war ihm allerdings noch nicht gekommen. War er auch nicht. Unsinn.
    Okay, er musste es akzeptieren: André war wohl bei seinem Raubzug in Graftons Haus erwischt worden. Eigentlich musste Mark jetzt bei der Polizei anrufen und nachfragen, ob André dort war. Aber er scheute sich. Er wusste nicht, was er gegenüber der Polizei sagen durfte und was nicht. Ob er André oder sich selbst schaden würde, wenn er alles verriet.
    Spät am Abend zog es Mark wieder zum Kettenhofweg. Es war besser als totale Untätigkeit. Der Polizeiauflauf war jetzt weg, die Absperrung verschwunden. Keine Indizien, dass hier heute etwas Ungewöhnliches geschehen war.
    In der Grafton’schen Villa brannte noch Licht. Plötzlich hielt Mark die Ungewissheit nicht mehr aus. Er beschloss zu klingeln. Irgendwie würde er dann schon erfahren, was passiert war. Und wenn nicht, würde er dem ollen Grafton zumindest mal sagen, was er von dem parteiischen Drecksgutachten hielt, mit dem er Andrés Arbeit verrissen hatte. Verdammt, das hätte er schon längst tun sollen. Er hatte André in dieser Sache viel zu wenig unterstützt. Er wohnte ja hier vor Ort. Er hätte dem Dekan des Fachbereichs die Bude einrennen, andere Profs um eine private Bewertung der Arbeit bitten sollen, tausend Sachen hätte er unternehmen können, um André zu helfen. Stattdessen hatte er beim ersten Widerstand im Prüfungsamt sofort aufgegeben und bloß immer blöd gesagt: Verrenn dich nicht.
    Dann der Polizist in Zivil, der ihn stoppte. Der Augenblick, wo Mark nicht mehr leugnen konnte, dass etwas fatal schiefgegangen war. Das schreckliche Handybild des verletzten André. Und nun saß er hier am Bett seines komatösen Bruders, und alles war zu spät. Mark würde sich niemals in seinem Leben mehr verzeihen, André

Weitere Kostenlose Bücher