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Schattenherz

Schattenherz

Titel: Schattenherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrike Bliefert
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sich für ihr vorschnelles Urteil ohrfeigen können, aber im ersten Moment wirkte Anatols Reaktion auf sie wie ein völlig aus der Luft gegriffener Vorwurf.
    Â»Hey, ich glaub, wir müssen hier mal was klarstellen«, sagte sie und stemmte angriffslustig die Hände in die Hüften, »ich hab dich nicht gebeten mitzukommen! Und wenn du mich für hysterisch oder sonstwie durchgeknallt hältst, weil ich verdammt noch mal Angst davor habe, dass die mich wieder einfangen, dann fahr doch zurück und gut is! Die fünfzig Euro reichen locker für ’n Bahnticket! Plus Taxi, wenn’s sein muss! Ich komm schon alleine klar!«
    Â»Moment!« Anatol hob abwehrend die Hände. »Das verstehst du nicht. Ich … ich hab halt manchmal Schwierigkeiten mit … «
    Er unterbrach sich, schloss die Augen und atmete ein paar Mal tief durch.
    Â»Schwierigkeiten mit was?«
    Â»Gleich. Eins nach dem anderen, ja?« Es fiel ihm nach wie vor schwer zu sprechen, aber das Zittern ließ langsam nach und allmählich kehrte auch die Farbe zurück in sein Gesicht. Als er die Augen wieder öffnete, veränderte sich seine ganze Haltung.
    Â»Sorry«, sagte er. »Kommt manchmal vor. Aber ich geb mir alle Mühe, es in den Griff zu kriegen.«
    Bevor Malin nachfragen konnte, was »es« zu bedeuten hatte, sprach Anatol weiter. Und er lächelte sogar dabei. »Also erstens: Dass ich dich nicht um Erlaubnis gefragt hab mitzukommen, stimmt. Aber wenn du dich recht erinnerst, war dafür auch verdammt wenig Zeit. Zweitens halte ich das hier für alles andere als ’nen lustigen Campingausflug. Ich mein: Sieht das hier etwa aus wie ’n Zelt?« Er deutete mit ausholender Geste auf das triste Ambiente: nikotinbraune Blümchentapeten, vernagelte Fenster und fleckiges Linoleum auf dem Fußboden.
    Â»Stimmt. Scheußlich«, gab Malin zu und musste unwillkürlich grinsen. »Eins zu null für dich.«
    Einen Augenblick lang schien es, als sei der Frieden zwischen ihnen wiederhergestellt. Doch statt sich in Richtung Dorf auf den Weg zu machen, setzte Anatol sich auf die Bretterbank und zog Malin neben sich. »Malin, das alles geht mich ja letztlich nichts an«, begann er vorsichtig, » und ich weiß, das hier ist ganz und gar dein Ding. Und wenn es um seltsames Verhalten geht, bin ich – zugegebenermaßen – der Allerletzte, der es sich herausnehmen sollte, dumme Fragen zu stellen. Nur …«
    Â»Nur was?«
    Â»Nur warum tust du nicht einfach das, was jeder normale Mensch tun würde?«
    Â»Und was wäre das, bitte sehr?« Malins Stimme begann, gefährlich zu zittern.
    Â»Warum rufst du deinen Vater nicht einfach an und fragst, wieso er dir das mit deiner Mutter jahrelang verschwiegen hat?«
    Â»Das hab ich dir doch schon hundert Mal gesagt!« Malin sprang auf und versetzte Anatol einen wütenden Stoß gegen die Brust. »Er will mich umbringen! Wann kapierst du das endlich?! «
    Anatol ließ das Ganze regungslos mit sich geschehen. Dann stand er langsam auf. » Alles klar. Wie konnte ich das nur vergessen«, murmelte er.
    Er hält mich auch für verrückt! Wahrscheinlich ist er nur deshalb mitgekommen! Um auf die Durchgeknallte aufzupassen! Vielleicht hat ihn unser guter Dr. Spengler sogar dazu angestiftet!
    Als die Tür hinter ihm ins Schloss fiel, wurde ihr klar, dass es verdammt ungerecht war, Anatol irgendwelche miesen Absichten zu unterstellen. Sie rannte hinter ihm her in den Garten und hielt ihn am Ärmel zurück. »Hey, Anatol! Moment! Tut mir leid, dass ich immer gleich aus der Haut fahre, wenn es um das Thema geht. Es reicht ja schon, wenn jemand Helmut als meinen Vater bezeichnet! Er ist nicht mein richtiger Vater! Mein richtiger Vater ist gestorben, als ich noch ein Baby war!« Sie war ungewollt schon wieder laut geworden und beschloss, zunächst einmal den Einatmen-Luft-anhalten-ausatmen-Trick anzuwenden, um ruhiger zu werden. Anatol ließ ihr Zeit.
    Â»Und nach dem Tod deines Vaters … hat deine Mutter noch mal geheiratet?«, fragte er nach einer Weile. » Diesen Helmut? Oder was?«
    Â»Das ist es ja, was ich nicht verstehe! Irgendwo in meinen ganz, ganz frühen Erinnerungen spukt so eine Szene rum … Wie das Ende von ’ner alten Filmrolle, weißt du? Wo die Bilder nicht mehr richtig zu erkennen sind und die Filmspule ausläuft und es rattert und danach

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