Schattenherz
Reinhardt in seinem Büro zusammensaÃ, um Kriegsrat zu halten. »Franzi, wenn das dein Kind wäre: Was würdest du dann zuallererst wissen wollen?«
»Wie meinst du das?«
»Na ja, wenn deine Tochter mit einem Psychiatriepatienten auf und davon wäre ⦠«
Franziska Reinhardt zuckte die Achseln. »⦠dann würd ich natürlich zuallererst mal wissen wollen, ob der Typ, mit dem sie abgehauen ist, ân Soziopath ist. Gewalttätig oder sexuell irgendwieâ¦Â«
»Siehst du!«, unterbrach sie Spengler und begann, nervös im Raum hin und her zu tigern. » Genau das hab ich eben auch gedacht! Das Einzige, was ihn interessiert hat, ist, ob unser guter Anatol womöglich Lösegeld für Malin erpressen will!«
»Anatol?« Die junge Ãrztin lachte auf. »Im Leben nicht!« Sie hielt inne und wurde schlagartig wieder ernst. »Sie ist ihrem Vater egal, meinst du«, fuhr sie leise fort.
Dr. Spengler nickte. »Anders kann man das wohl kaum interpretieren. Er macht sich keine Sorgen um Malin, sondern nur um sich selber. Um sich und sein Geld. Und es hat ihn nicht mal interessiert, dass Anatol ein Suizidpatient ist.«
Franziska Reinhardt schluckte. »Daran hab ich noch gar nicht gedacht. Meinst du, Anatol könnte Malin â¦Â«
»Verabredung zum Selbstmord? Gemeinsamer Liebestod?« Dr. Spengler holte tief Luft und atmete geräuschvoll aus. »Ehrlich gesagt: Ich weià es nicht.«
Das »GroÃe Meer« erwies sich als Binnensee. Malin leistete stillschweigend Abbitte bei Svenni, den sie wegen dieser Ortsbeschreibung voreilig als nicht sonderlich helle eingeschätzt hatte: Das flache Gewässer nannte sich tatsächlich so. Das echte »groÃe Meer« â die Nordsee â lag etwa 30 Kilometer in Richtung Westen. Zumindest schätzten Malin und Anatol das anhand der Umgebungskarte, die unweit von Svennis Grundstück an einem Regenunterstand angeschlagen war.
Das Grundstück selbst war mit Brombeersträuchern überwuchert und der einstmals schöne alte Backsteinbau bot einen trostlosen Anblick: Das Dach war teilweise eingesunken und die Fenster waren mit Holzlatten vernagelt; ein sinnloses Unterfangen, denn in der Eingangstür fehlten drei der vier Holzsegmente, sodass man ungehindert hinein- und hinausschlüpfen konnte. Innen war bereits alles demontiert worden, was irgendwie von Wert sein konnte, und auÃer einem verwitterten Werkstatttisch und einer grob gezimmerten Holzbank gab es keine Möbel.
Malin drehte den Wasserhahn über dem Emaille-Ausguss auf. Nach ein paar rülpsenden Geräuschen schoss eine zunächst wenig vertrauenerweckende rostrote Fontäne daraus hervor. Doch nach wenigen Sekunden wurde das Wasser klarer, und als Anatol den altmodischen Bakelit-Schalter neben der Tür betätigte, ging tatsächlich â in Form einer nackten Glühbirne, die an einem Kabel von der Decke hing â das Licht an.
»Na bitte! Strom und Wasser funktionieren!«, stellte Malin zufrieden fest. »Dazu ein halbwegs heiles Dach über dem Kopf. Was will man mehr?«
»Aha«, sagte Anatol, »wir bleiben also hier. Na dannâ¦Â« Er leerte den Inhalt seiner Jeanstasche und förderte zwei Zwanziger und einen Zehneuroschein zutage. »⦠Dann kaufen wir davon erst mal was zu essen und für jeden von uns ân Handtuch, Zahnpasta und âne Zahnbürste. Und für mich vielleicht auch noch Rasierzeug. Hoffentlich gibtâs hier irgendwo âne Tanke oder ânen Touri-Laden, wo man so was am Wochenende kriegt.«
Die Umgebungskarte hatte einen Ort namens Bedekaspel als nächstliegende Gemeinde ausgewiesen; zu Fuà in ein paar Minuten zu erreichen.
»Kommst du?«
Malin schüttelte den Kopf. »Nee. Sorry, aber ich rühr mich hier nicht vom Fleck!«
»Wieso das denn nicht? Ist doch âne nette Gegend hier â¦Â«
»Ja, nur bin ich nicht auf ânem lustigen kleinen Campingausflug! Wenn mich jemand erkennt, bin ich geliefert!«
»Das ist zwar mehr als unwahrscheinlich, aberâ¦Â« Anatol zögerte »Na gut, dann geh ich halt allein.«
Malin stellte fest, dass seine Hände zu zittern begonnen hatten. Sämtliche Farbe war aus seinem Gesicht gewichen und er hielt die Lippen fest zusammengepresst.
Was soll denn die Nummer? Er wird doch wohl noch alleine ins Dorf gehen können!
Im Nachhinein hätte sie
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