Schattenherz
wird die Leinwand einfach weià ⦠Jedenfalls gab es da einen Onkel Helmut und ich sollte plötzlich anfangen, Papa zu ihm zu sagen.«
»Und deine Mutter?«
»Die war da schon gestorâ¦Â« Malin unterbrach sich erschrocken. Ohne dass sie es verhindern konnte, schossen ihr Tränen in die Augen. »WeiÃt du«, fuhr sie leise fort, » als ich klein war, hab ich mir immer wieder ausgemalt, wie es wäre, eine Mutter zu haben. Wie die anderen Kinder. Und dann hab ich nachts meine Bettdecke in den Arm genommen und âºMamaâ¹ geflüstert. Immer wieder. Und ich hab mir vorgestellt, dass sie mich hören kann und dass sie bei mir ist und mir über den Kopf streicht und mir ganz leise ein Lied vorsummt.« Sie fuhr sich hastig über die Augen, als wollte sie die Erinnerung an das traurige kleine Mädchen, das sie einmal war, fortwischen. »Na ja, irgendwann ist man halt erwachsen und sagt sich âºKapier endlich, dass sie tot ist!â¹. Aber verdammt noch mal: Sie ist nicht tot! Und ich komm mir total bescheuert vor, weil es mir im Nachhinein vorkommt, als hättâ ich das schon immer gewusst!«
Anatol machte eine Bewegung, als wolle er sie in den Arm nehmen, überlegte es sich jedoch sofort wieder anders. Stattdessen zog er ein Schweizer-Messer aus der Innentasche seiner Windjacke, klappte eine winzige Schere aus und hielt sie Malin auffordernd hin. »Hier! Ich hoffe, du kannst Haare schneiden.«
»Was?!«
»Na, wenn der Typ dich umbringen will oder die Polizei anfängt, nach uns zu suchen, oder beides gleichzeitig, dann müssen wir schlieÃlich irgendwie anders aussehen.«
Er drehte den alten Zinkeimer, der unter der Pumpe stand, um und setzte sich. »Also runter mit der Matte.«
Zögernd griff Malin in Anatols lange rotblonde Locken. »Aber⦠Wie viel soll ich denn�«
»Alles! Ratzekahl.«
»Und wenn das scheiÃe aussieht?«
»Egal.«
Malin zögerte. Anatols Haare fühlten sich gut an; viel weicher als ihre eigenen. »Nee!«, erklärte sie entschieden. »âne Glatze schneid ich dir nicht! Hinterher kriegst du ânen Mords-Sonnenbrand auf dem Schädel und ich bin schuld!«
»Dann lass halt rundum drei Zentimeter dran. Aber ich fürchte, dann müssen wir einen Teil von meiner Kohle in Haarfarbe investieren.«
»Was? Wieso? Ist doch schade drum.«
Anatol zuckte die Achseln. »Weltweit haben nur etwa zwei Prozent aller Menschen rote Haare. Das Ganze noch mal geteilt durch zwei â Männlein und Weiblein â macht ein Prozent. Falls wirklich nach uns gesucht wird, sind meine Haare ân verdammt verräterisches Indiz.«
»Na gut ⦠«
Während unter Anatols Miniaturschere Strähne für Strähne zu Boden segelte, meldeten sich bei Malin erneut Zweifel an ihrer ganzen Aktion: Ohne Geld und ohne Papiere einfach abzuhauen, das war doch geradezu kindisch naiv!
»Anatol, ich hätte dich da nicht mit reinziehen sollen⦠«
»Hast du doch gar nicht. Ich bin schlieÃlich von selbst auf Svennis Karre gesprungen.«
»Ja klar. Nur: warum?«
»WeiÃt du, was?« Anatol tat, als habe er ihre Frage nicht gehört. »Ich kauf dir so âne blaue Fischermütze. Mit oder ohne Bommel. So was muss es hier doch an jeder Ecke geben. Wird zwar bei den Temperaturen verdammt heià am Kopf werden, aber da kannst du deine Haare komplett drunter verstecken. Und für jeden von uns besorg ich âne billige Sonnenbrille. Damit wir morgen hier wegkönnen, ohne dass uns jemand â¦Â« Er stutzte. »Ãhm ⦠Sag mal: Was hast du eigentlich vor? Deine Mutter suchen, okay, klar. Nur, du weiÃt doch nicht mal, in welchem Knast die sitzt.«
»Genau. Und deshalb müssen wir erst mal in Richtung Hannover trampen.«
»Und dann?«
»Dann brechen wir bei mir zu Hause ein.«
Kapitel 6
A m nächsten Morgen standen zwei junge Männer mit verspiegelten Sonnenbrillen â der eine mit kurzem strohblondem Lockenkopf, der andere mit Fischermütze â an der BundesstraÃe 210.
Malin hatte Anatols Haare â schweren Herzens â gleich am Morgen gebleicht und blondiert. Dann hatten sie Klamotten getauscht: Anatol trug Malins rot-schwarz gestreiftes Sweatshirt und Malin Anatols dunkelblauen Windbreaker. Mit der blauen Mütze dazu sah sie von Weitem aus wie ein Junge.
Anatol hielt den Daumen
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