Schattenherz
Welle von Scham, Ekel, Angst und Schuldgefühlen aus, die ihn beinahe zu überwältigen drohte. Doch diesmal lieà er nicht zu, dass die Welle über ihm zusammenschlug. Er atmete tief durch und schloss einen Moment lang die Augen.
»Wir schaffen das«, sagte er leise. »Du hast ein Recht auf die Wahrheit. Und wenn wir es bis hierhin geschafft haben, dann schaffen wir es auch noch weiter.« Er strich ihr zärtlich übers Haar. »Glaub mir, wir stehen das zusammen durch. Irgendwie.«
Er wartete, bis Malin ruhiger wurde.
»WeiÃt du, was ich nicht kapiere? Wieso dein Adoptivvater auch noch die Zeitungsausschnitte jahrelang aufbewahrt hat! Hat der denn keine Angst gehabt, dass du die Sachen finden könntest?«
Malin zuckte die Achseln. »Und wennschon! So skrupellos wie der ist, hat der doch auch dafür âne Story parat. âºIch wollte dir halt bis zu deinem Achtzehnten die bittere Wahrheit ersparen, dass deine Mutter eine Verbrecherin ist.â¹ âne bessere Ausrede gibtâs doch gar nicht.«
»Trotzdemâ¦Â«
»Weiter.«
»Okay.«
Anatol las weiter, ohne seine Umarmung zu lösen.
»Christina K. (31), verwitwete Mutter einer zweijährigen Tochter, steht in dringendem Verdacht, dem Vermögensberater Helmut G. (46) in der Nacht zum Freitag vergangener Woche ein tödliches Gift verabreicht zu haben. Helmut G. überlebte den Mordanschlag nur durch einen glücklichen Zufall. Nicolas G. (17), der Sohn des Opfers, fand seinen Vater bewusstlos im Haus der Festgenommenen vor, als er unerwartet früh eine abendliche Feier seines Lehrbetriebs verlassen hatte. Die mutmaÃliche Täterin hatte offenbar nicht mit der Rückkehr des jungen Mannes gerechnet.
Das Motiv für die Tat ist noch unklar; aus dem näheren Umfeld der Familie war jedoch zu erfahren, das Christina K. extrem eifersüchtig war und befürchtete, Helmut G. könne sie verlassen.«
Der nächste Artikel stammte aus einer Boulevardzeitung. »Unschuldsengel oder Schwarze Witwe?«, stand in fetten Lettern über einem beinahe halbseitigen Paparazzi-Schnappschuss. Er zeigte Christina Kowalski im Fond eines Pkw, offenbar vor Betreten des Gerichtsgebäudes: Der schwarze Rollkragenpullover betonte ihren blassen Teint noch zusätzlich und ihr ohnehin schmales Gesicht wirkte regelrecht durchsichtig. Offenbar hatte sie in der Untersuchungshaft dramatisch an Gewicht verloren. Die auf früheren Aufnahmen noch schulterlangen Haare waren kurz geschnitten und in den weit aufgerissenen Augen stand pure Angst.
Anatol überflog den Artikel und legte ihn beiseite. »Der übliche Dreck«, erklärte er. »Sensationshascherei, damit sich Millionen Leser am Unglück anderer aufgeilen können.«
Es folgten mehrere Ausschnitte aus Tageszeitungen, in denen über den Prozessverlauf berichtet wurde: Belastendes vonseiten des Schwiegervaters ââ¦
Christina war schon immer psychisch instabil â¦
â und zu Malins grenzenloser Verwunderung Entlastendes vom Opfer selbst.
Helmut G. trat als Zeuge der Verteidigung auf und bestritt vehement, dass es Unstimmigkeiten zwischen ihm und der Angeklagten gegeben habe. Zudem habe es für Christina K. keinerlei Anlass gegeben, an seiner Treue zu zweifeln. Von Trennung sei nie die Rede gewesen.
Malin schüttelte ungläubig den Kopf. »Haben die von der Zeitung das erfunden oder was? Das ⦠das ist doch geradezu absurd! Da versucht jemand, dich umzubringen, und im Gegenzug versuchst du, denjenigen, der dir das angetan hat, vor dem Knast zu bewahren?«
Anatol zuckte ratlos die Achseln. »Ich verstehâs auch nicht, aber das hier sind alles mehr oder weniger seriöse Zeitungen; keine Revolverblätter. Scheinbar hat dein Adoptivvater wirklich bis zum Schluss behauptet, dass es sich bei der ganzen Geschichte um einen Irrtum handelt.«
»Warum ist sie dann trotzdem verurteilt worden?«
»Moment â¦Â« Anatol zog unten aus dem Stapel einen der letzten Berichte heraus. »⦠hier: Vor dem Oldenburger Landgericht erging heute das Urteil gegen â¦Â«
»Huhuuu, Leute! Ãberraschung!« Kellys Stimme übertönte sogar das Bremsgeräusch ihres Mini Cooper.
»Shit!« Genervt lieà Anatol den Artikel sinken.
»Na los, ihr beiden! Der Weihnachtsmann ist da! Plus Osterhase, Christkind, Zahnfee und Geburtstagsmännchen!« Die Autotür schlug zu.
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