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Schattenherz

Schattenherz

Titel: Schattenherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrike Bliefert
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was Malin da auf Band gesprochen hatte; schließlich waren sie und Anatol bestimmt nicht ohne Grund in der Klapsmühle gelandet.
    Â»Schizo, Psycho, Hallus und Visionen…«, murmelte sie amüsiert.
    Und Geschwister waren die beiden erst recht nicht.
    Malin hatte den Verlust ihres MP3-Players noch gar nicht bemerkt. Nachdem Kelly gegangen war, hatte sie Svennis alten Werkstatttisch sauber gemacht, der splitterigen Holzbank mittels ihrer zusammengefalteten Sweat-Jacke ein Kissen verpasst und das ganze Ensemble ans Fenster geschoben, mit Blick in den Garten. Zum Schluss stellte sie noch Blumen auf den Tisch: Anatol hatte ihr einen Strauß Taglilien und Rittersporn gepflückt und als Vase kurzerhand eine leere Selterwasserflasche in zwei Teile geschnitten.
    Die gelben Lilien dufteten süß wie Orangenblüten und Malins Vorhaben bekam durch den romantischen kleinen Schreibplatz beinahe etwas Feierliches.
    Â»Sehr geehrte Frau Kowalski«, schrieb Malin. Nach kurzer Überlegung zerknüllte sie das Blatt und begann von Neuem: » Liebe Mama … «
    Wieso »liebe«? Ich weiß doch gar nicht, ob sie lieb ist. Und wieso »Mama«? Wie eine Mutter hat sie sich jedenfalls nicht verhalten. Obwohl … Vielleicht hat sie damals ja tatsächlich angenommen, das sei das Beste für mich … Aber als ich alt genug war, hätte sie mir doch wenigstens schreiben können.
    Die Durchsicht der Papiere und Zeitungsartikel hatte ergeben, dass ihre Mutter der Adoption zugestimmt hatte, nachdem auch der Revisionsprozess nichts an ihrem Urteil geändert hatte. Als Lebenslängliche blieb ihr die Möglichkeit verwehrt, in der Mutter-und-Kind-Abteilung der JVA untergebracht zu werden. Das machte ihre Entscheidung im Grunde sogar nachvollziehbar. Damals hatten zwar Malins Großeltern noch gelebt, aber natürlich waren sie schon zu alt, um ein Kind großzuziehen. Und andere Verwandte gab es nicht.
    Malin nahm ein neues Blatt und strich es gedankenversunken wieder und wieder glatt, ohne mit dem Schreiben fortzufahren.
    Dass ihre Mutter und Helmut Gräther ein Paar gewesen sein sollten, wollte ihr nicht in den Kopf gehen.
    Aber vielleicht mach ich mir auch einfach nur irgendwelche romantischen Vorstellungen. Vielleicht hat meine Mutter meinen Vater nach seinem Tod ja ganz schnell vergessen.
    Helmut Gräther war schon immer ein Freund des Hauses gewesen: Jagdkumpel ihres Großvaters und bester Freund des Familienanwalts, Dr. Behrens.
    Klaus Behrens! Der Typ mit den Fischaugen! Eiskalt!
    Malin hatte ihn bereits als kleines Mädchen von Herzen verabscheut. »Na, da ist ja unser Prinzesschen«, pflegte er zur Begrüßung zu sagen und ihr dabei so heftig die Wange zu tätscheln, dass es sich wie lauter kleine Ohrfeigen anfühlte. Seine Finger rochen nach Nikotin, und wenn er lächelte, zogen sich seine Mundwinkel nach unten statt nach oben.
    Aber Opa hat große Stücke auf ihn gehalten.
    Bestimmt haben Helmut und Dr. Behrens meiner Mutter weisgemacht, dass es »zum Wohle des Kindes« besser wäre, wenn man mir deprimierende Knastbesuche erspart. Wahrscheinlich haben sie das auch genau so dem Jugendamt verklickert.
    Wer denkt bei so ’nem kleinen Kind schon daran, dass es später mal Millionenerbin sein wird?
    Und normalerweise überleben Kinder ja eh ihre Eltern.
    Normalerweise …
    Hallo,
    schrieb Malin schließlich,
    ich hoffe, dass diese Zeilen Sie erreichen und dass Sie tatsächlich die Christina Kowalski sind, von der ich glaube, dass sie meine Mutter ist. Ich weiß leider wenig bis gar nichts über die Zusammenhänge und über das, was damals geschehen ist. Von daher kenne ich auch nicht die Beweggründe dafür, dass man mir verschwiegen hat, dass Sie noch leben.
    Malin hielt erneut inne.
    Muss man die eigene Mutter siezen, nur weil man keinerlei Erinnerung an sie hat?
    Sie machte einen Gedankenstrich und schrieb genau das hin:
    Ich weiß nicht, ob ich Sie, nachdem Sie all die Jahre keinen Kontakt mit mir aufgenommen haben, vielleicht lieber siezen soll oder ob ich Dich als meine Mutter duzen darf. Ich war ja damals noch viel zu klein, um irgendwas mitzukriegen.
    Komischerweise ist das Einzige, woran ich mich ganz deutlich erinnere, die Mücke.
    Ob es sich tatsächlich um eine Mücke oder ein anderes prähistorisches Fluginsekt gehandelt hatte, wusste wahrscheinlich niemand, aber Malin erinnerte sich lebhaft an das

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