Schattenherz
saÃ, waren nummerierte Vierertische aufgereiht, flankiert von jeweils einer Reihe Einzelplätze, bei denen die Besucher durch eine halbhohe Plexiglasscheibe voneinander getrennt waren. Man hatte sich deutlich Mühe gegeben, das Ambiente so angenehm wie möglich zu gestalten: hell gestrichene Wände, helle Möbel und â genau wie in der Schleuse â eine Reihe hoch angebrachter Fenster, die Tageslicht hereinlieÃen. Trotzdem beschlich Kelly ein diffuses Unbehagen. Eine Gänsehaut überlief sie und sie schüttelte sich.
»Nein, nein, keine Bange!« Frau Siebenrock lachte. »Sie dürfenâs ein bisschen gemütlicher haben! Ich hab Ihnen im Konferenzraum ein Plätzchen eingerichtet.« Sie winkte Kelly zurück ins Treppenhaus und öffnete ein weiteres Stockwerk höher eine Tür, die in einen sonnengelb gestrichenen Seitentrakt führte. Hier gab es sogar Bilder an den Wänden und die Milchglas-Lampen, die von der Decke hingen, spendeten ein weitaus angenehmeres Licht als die Neonleuchten im Stockwerk tiefer.
Der freundliche Panda schloss die Tür zum Konferenzraum auf. »Wenn Sie schon mal Platz nehmen wollen? Ich hol Ihnen dann die Frau Kowalski.«
»Kurz nach elf. Jetzt ist sie vielleicht schon bei ihr«, sagte Malin. »Das heiÃt: Hoffentlich ist sie jetzt bei ihr!«
Sie saà am Campingtisch in Svennis Garten und schaute zum x-ten Mal auf das Display ihres neuen iPhones. »Vielleicht ist Kelly ja auch in ânen Stau geraten und kommt zu spät. Meinst du, die sind da pingelig und lassen sie dann nicht mehr rein?«
Anatol unterbrach seinen Versuch, die riesige Wurzel eines offenbar bereits vor Jahren gefällten Baumes zu roden.
»WeiÃt du, was das wird?«, fragte er, ohne auf Malins ängstliche Spekulationen einzugehen.
»Wieso?«, fragte Malin verwirrt. »Was soll das schon groà werden? Du holst ânen alten Baumstumpf aus der Erde. Ja und?«
»Du hast doch gesagt, hier gibt es Igel, oder? Und da dacht ich, wir bauen denen einen richtig schönen Unterschlupf. Ich zeig dir nachher, wie das geht. Wär toll, wenn du schon mal ân paar von den Ziegelsteinen, die hinten im Schuppen liegen, holen würdest. So fünf oder sechs Stück.«
»Okayâ¦Â« Malin stand auf und machte sich â leicht irritiert â auf den Weg zum Schuppen.
Anatol schaute ihr lächelnd hinterher. Der Trick stammte von Dr. Spengler. » Anatol«, hatte er gesagt, »dahinten im Park wird doch gerade unser neuer Rosengarten angelegt. Wenn du Lust hast, kannst du den Arbeitern da ja mal âne Runde helfen ⦠«
Das gehörte zwar in keiner Weise zur offiziellen Beschäftigungstherapie, aber es hatte gewirkt. Und schlieÃlich hatte er auf diese Weise Malin kennengelernt.
Jetzt galt es, Malin über die nächsten ein, zwei Stunden zu helfen und sie abzulenken. Notfalls mit Steineschleppen.
Die Frau, die sich Kelly mit einem freundlichen, aber deutlich distanzierten Lächeln gegenübersetzte, war geschmackvoller gekleidet als der Aufpasser-Panda: weiÃes T-Shirt, blaue Strickjacke, Jeans und ein unkomplizierter Kurzhaarschnitt. Ihr braunes Haar war an einigen Stellen bereits von weiÃen Strähnen durchzogen. Sie wirkte in sich gekehrt â beinahe schüchtern â, aber ihre Züge lieÃen keinen Zweifel daran, dass es sich um Malins Mutter handelte.
»Guten Tag«, sagte sie leise.
»Hi!« Kelly strahlte sie an, als gehe es bei ihrem Interview um eine Waschmittelumfrage. »Cool, dass Sie mitmachen!«
Christina Kowalski nickte höflich, faltete die Hände auf der Tischplatte und beantwortete die Fragen, die ihr gestellt wurden, leise und emotionslos.
»Sie sind sechsundvierzig Jahre alt und seit knapp fünfzehn Jahren in Haft?«
»Ja.«
»Haben Sie vor Haftantritt über eine abgeschlossene Schulbildung verfügt?«
»Ja.«
»Welche?«
»Abitur.«
»Waren Sie vor Haftantritt berufstätig?«
»Nein, ich hab studiert. Soziologie und Geschichte.«
»Haben Sie während Ihrer Haftzeit eine Aus- oder Weiterbildung absolviert?«
»Ja. Ich hab an der Fern-Uni Hagen Sozialpsychologie studiert und mit der Masterprüfung abgeschlossen. Zurzeit arbeite ich in der Gefängnisgärtnerei.«
»Und Ihr Familienstand ist ⦠Moment!« Kelly machte eine Kunstpause, blätterte in ihren Fragebogen und
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