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Schattenherz - Fesseln der Dunkelheit

Schattenherz - Fesseln der Dunkelheit

Titel: Schattenherz - Fesseln der Dunkelheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Winter
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Boden.
    „Tun?“, flüstere ich.
    „ Tylandora will dich an Callistus verkaufen“, erinnert er mich. Als ob ich aufhören könnte, daran zu denken.
    Hilflos zucke ich mit den Schultern.
    „Was soll ich dagegen tun?“
    Er legt seine freie Hand unter mein Kinn und hebt es hoch. Ich sehe den Mond hinter seiner Schulter leuchten. Nur halb. Zunehmend. Der Gedanke, ihn nicht mehr voll zu sehen, macht mich traurig und ich kämpfe mit den Tränen. Ich hatte nicht angenommen, dass meine Entscheidung mich dermaßen melancholisch stimmt. Andererseits will ich mich umbringen. Wie viel trauriger könnte ich sein?
    „Schließe deine Augen“, verlangt er und ich mache sie zu, ohne darüber nachzudenken.
    Er streicht über mein Gesicht, als würde er versuchen, es mit seiner Hand zu erforschen. Ich spüre Fingerkuppen und raue Schwielen. Er wandert über meine Augenbrauen, meine Nase hinab, die schmale Rinne darunter entlang und streicht dann seitwärts über meine Lippen. Hin und her.
    Die Berührung ist so intensiv, dass ich zittere. Mein Mund kribbelt und ich verliere mich im Moment. Ich kann mir die sehnsüchtige Empfindung, die er in mir auslöst, nicht erklären.
    „ Hat dich schon mal ein Mann geküsst?“, flüstert er.
    „ Nein.“
    Mein Herz flattert und ich denke: Noch ein Kuss bevor ich sterbe. Dann habe ich wenigstens geküsst. Es ist nicht so, als hätte ich nie darüber nachgedacht. Ich bin eine Frau und ich bin einsam. Ohne Eltern und ohne Liebe, habe ich mich nach Nähe gesehnt und bin in die Fantasie von einem Mann und Kindern getaucht. Kinder, die ich nicht mehr haben werde.
    „ Möchtest du, dass ich dich küsse?“, fragt er leise.
    Ich nicke nur, finde keine Worte mehr.
    Noch ein Kuss.
    Er lässt meine Hand los und umfasst mit beiden Händen mein Gesicht, streicht mit seinen Daumen über meine Schläfen. Ich stelle mir vor, dass ich Dornröschen bin und er mich auf eine verkehrte Weise in den Schlaf küsst, einen sehr langen, stillen Schlaf.
    „Elise“, murmelt er.
    Dann ist sein Mund auf meinem und mein Herz steht still. Lippen auf Lippen. Sein Atem ist warm auf meiner Haut. Black Bowmore. Der Geschmack verbindet uns. Er atmet aus und ich ein. Seine Luft füllt meine Lungen und ich finde es merkwürdig intim. Seine Finger wandern in mein Haar, halten meinen Kopf fest. So sanft, dass ich es kaum ertrage. Ungekannte Gefühle schwirren in mir wie Libellen im Sommer und ich koste, wie es hätte sein können. Seine Zunge kitzelt meine Lippen und verschwindet wieder. Federleicht. Er lässt mich fliegen.
    Ich will meine Arme heben und um seinen Nacken streichen. Doch die Tür schwingt auf und wir wirbeln auseinander. Er schiebt mich hinter sich und ich sehe seinen Rücken vor mir, bemerke erst jetzt, wie viel größer er ist als ich.
    Meine Tante steht in der Tür und ich höre ihre Stimme zischen.
    „Du kleines Flittchen!“
    „ Bleib hier“, instruiert er mich, ohne sich umzudrehen und geht mit langen Schritten auf sie zu. Wieder kommt das Licht von der anderen Seite und mir bleibt nur seine dunkle Silhouette. Er bewegt sich wie ein Raubtier. Ich erkenne, dass er gefährlich ist, aber ich spüre keine Angst.
    „ Wir klären das draußen“, sagt er rigoros und schiebt meine verdutzte Tante hinaus. Die Tür schließt sich und ich begreife, dass der Moment vorbei ist.
    Ich atme tief durch und berühre noch einmal meinen Mund. So also ist küssen.
    Die Zeit tickt weiter und mir ist klar, dass er Tylandora nicht ewig von mir fernhalten kann.
    Was wirst du tun?
    Ich habe eine Verabredung mit dem Schicksal und eile zur Seitentür. Es gibt von dort einen Flur zu einer zweiten Treppe, die mich ebenfalls nach oben bringt. Ich verschwinde in den Gang, renne ihn entlang und sause die Stufen hinauf. Die Erinnerung an den Fremden verwahre ich in mir wie in einem Schatzkästchen. Sie treibt mich an, denn ich weiß, dass ich Callistus nicht ertragen will.
    Der obere Flur ist im Carré angelegt, trifft im anderen Flügel auf die große Treppe. Ich sprinte los. Niemand ist hier. Alle Aufmerksamkeit richtet sich auf die Festivität im unteren Geschoss. Ich biege um die Ecke und fliege regelrecht durch die Tür meiner Kammer, werfe sie hinter mir zu und hole kurz Luft.
    Die Ereignisse des Tages haben sich komplett überschlagen. Am Morgen hatte ich nicht angenommen, dass ich dem Freitod entgegen renne. Ich verkeile meinen Holzstuhl unter dem Türgriff, um ungestört zu sein. Dann gehe ich zum Spiegel, will mir selbst

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