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Schattenherz - Fesseln der Dunkelheit

Schattenherz - Fesseln der Dunkelheit

Titel: Schattenherz - Fesseln der Dunkelheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Winter
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noch einmal Lebewohl sagen.
    Traurige, große Augen sehen mir entgegen. Meine linke Gesichtshälfte ist zerkratzt, als hätte jemand eine Gartenkralle daran getestet. Eine frische Kruste bedeckt die roten Striemen und ich fühle mit meinen Fingerkuppen darüber.
    Ich erlebe im Kopf noch einmal, wie er mich streichelt und meine Wunde versorgt, wie wir zu teuren Whisky trinken. Ich lege den Kopf in den Nacken und blinzle. Der Kuss. Es war... ein guter Abschluss für ein erdrückendes Leben. Ich presse meine Lippen zusammen und straffe die Schultern.
    „ Verzeih mir“, sage ich zu meinem Spiegelbild. „Ich bin nicht stärker.“
    Besser als so, kann ich nicht auf mich aufpassen. In dieser Welt bin ich machtlos. Unter keinen Umständen kann ich Callistus ertragen. Ich verdränge ihn aus meinem Kopf, beschwöre den dunklen Umriss eines Fremden vor meinen Augen.
    Dann greife ich unter das Waschbecken nach den Wechselklingen meines Rasierers. Ich benetzte meine Lippen und probiere einen Schnitt an meiner Fingerkuppe. Es brennt, erinnert mich daran, dass ich noch lebe. Ein paar Tropfen Blut perlen aus der Wunde. Das Rot ist unbeschreiblich schön, erblüht auf der Klinge. Der Schmerz ebbt ab und weicht einer tiefen Ruhe. Ich bin bereit.
    Das schwarze Kleid behalte ich an. Es ist das Schönste, was ich besitze. Ich löse den zerzausten Zopf, lockere mein Haar und kämme es mit meinen Fingern durch. Zufrieden gehe ich zum Bett und hole meine Kiste heraus. Ich halte die Babydecke an meine Nase und schnuppere daran. Dass ich mit meinen Eltern vereint sein werde, erscheint mir als die wundervollste Lösung überhaupt. Die Sehnsucht ist süß und tief.
    Ich lege die Decke auf mein Kopfkissen und ziehe die Spieluhr auf. Die Tänzerin dreht sich zu Tschaikowsky und ich stelle sie auf meinen Nachttisch, wiege mich einige Schritte zur Melodie. Noch einmal tänzle ich auf meinen Fußspitzen und denke an Kinderlachen, als wir so tanzten in rosa Tüll.
    Meine Finger suchen das Bild meiner Eltern heraus und ich gebe ihnen mit Tränen verschmierten Augen einen Kuss. Endlich lege ich mich auf mein Bett und lasse das Foto auf meiner Brust liegen, ganz nah bei meinem Herzen.
    Die Spieluhr wird immer langsamer und hört dann auf zu spielen. Ich grabe meine Nase in die weiche Decke und rieche noch einmal am Puderduft. Alles ist, wie es sein soll. Ich nehme innerlich Abschied und greife nach der Rasierklinge.
    Ohne ein Klopfen wird an der Tür gerüttelt. Der Stuhl wackelt und ich höre von draußen die Stimme eines Angestellten meiner Tante.
    „Mach die Tür auf!“, verlangt er und poltert weiter gegen die Tür.
    Innerlich werde ich hektisch. Ich weiß nicht, wie viel Zeit es braucht, um zu verbluten. Auf keinen Fall will ich, dass er mich davon abhält. Es betrübt mich, dass meine Vorstellung aus den Fugen gerät und ich nicht mehr das Nachtlied summen kann.
    Hastig ritze ich über meinen Arm, doch meine Finger sind so nass vom Schweiß, dass mir die Klinge abrutscht und aufs Bett fällt. Die Wunde blutet viel zu spärlich. Ich habe die Ader verfehlt.
    Verdammt!
    „ Tylandora hat dich verkauft, also mach, dass du da raus kommst!“
    „ Ich komme gleich runter, ich packe nur fertig.“
    Ich kann nicht verhindern, dass Panik in meiner Stimme mitschwingt. Meine Hand greift nach der Rasierklinge, doch von draußen höre ich weitere Befehle.
    „Du kommst jetzt raus!“, schreit er.
    Ich erschrecke mich so sehr, dass ich mir die Finger zerschneide und die Zähne zusammen beiße, um nicht aufzuheulen.
    „Ich kann jetzt nicht öffnen“, erwidere ich mit zittriger Stimme. „Ich habe nichts an. Mein Kleid war schmutzig. So lass mich doch wenigstens etwas anziehen!“
    Lass mich endlich in Ruhe sterben!
    Blut kleckert über meine Finger, doch ich kann die Hand nicht wechseln, weil der Daumen meiner anderen verstaucht ist. Damit würde ich die Klinge nicht halten können. Ich versuche das scharfe Metall wortwörtlich in den Griff zu bekommen. Mittlerweile bin ich so verzweifelt, dass ich beschließe, mehrmals über meinen Arm zu ritzen und über den Hals gleich auch noch. Er darf keine Chance haben, mich zu retten!
    „ Das ist mir scheißegal!“, flucht er von draußen.
    Mein ganzer Körper zittert. Mir ist unendlich kalt. Ich drehe die Schneide fahrig zwischen meinen klammen, verschmierten Fingern und halte den Arm hin.
    Im selben Moment fliegt die Tür auf und der Stuhl kracht bis an die hintere Wand. Der Vampir in der Tür nimmt seinen

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