Schattenherz - Fesseln der Dunkelheit
der Menschen abgelöst hat. Uns gibt es immer noch, aber wir sind lediglich nahrhafte Relikte.
Ich war noch nicht geboren, als die Seuche kam. In meiner Welt hat es schon immer Blutsauger gegeben. Um die Zeit davor beneide ich die Menschen früherer Tage. Aber um keinen Preis wollte ich gelebt haben, als es passierte. Als die Medizin scheiterte. Als ein Bürgerkrieg über die ganze Welt hereinbrach. Als immer mehr sich verwandelten und der Gegner immer öfter aus der eigenen Familie kam.
Inzwischen ist die Auseinandersetzung beendet. Der Sieger steht fest, und ich gehöre zu jener Volksgruppe, die nun mit dem Zahlen der Repressalien beschäftigt ist. Es gibt mir ein Gefühl davon, wie das Leben in Sklaverei schon immer in der Geschichte der Menschheit gewesen sein muss. Unterdrückung. Keine Gerichtsbarkeit. Willkür.
Mir ist klar, dass ich in meinem neuen Leben ebenfalls Pflichten habe, und so wasche ich mich und kleide mich an. Als ich meine Haare zu einem Zopf zusammenbinden will, fällt mir ein, dass Konstantin meine Haare offen haben möchte. Ich kämme sie kräftig durch und untersuche dann die rosa Striche auf meiner Wange. Frisch verheilte und bereits blasser werdende Haut. Es scheint, dass er weniger gewalttätig ist als meine Tante. Jedenfalls hoffe ich, dass es dabei bleibt.
Ich ziehe eines meiner drei schwarzen Servierkleider an, das Schlichte – gerade geschnitten wie ein Etuikleid. Dazu meine flachen Schuhe. Die Sachen von gestern werde ich später waschen. Dann, wenn ich weiß, wo überhaupt die Waschmaschine steht in diesem riesigen Prachtbau, der mehr Zimmer zu haben scheint, als ein Ameisenhügel Ameisen beherbergt.
Dienstbereit gehe ich hinunter ins Erdgeschoss. Mein Herr hat mir gesagt, dass dort das Personal untergebracht ist. Daher spekuliere ich darauf, dass auch Arbeiten wie Kochen hier stattfinden.
Als ich in der großen Eingangshalle ankomme, sehe ich mich um. Einen Flügel des Hauses habe ich noch gar nicht betreten. Ich wähne die Küche in der Nähe vom Speisezimmer, aber sicher bin ich mir nicht. Glücklicherweise tritt in diesem Moment Rouillards Chauffeur aus einem Zimmer vor mir. Er hat eine Zeitung unter seinem Arm klemmen.
„ Guten Abend“, grüße ich ihn höflich.
„ Hallo“, antwortet er und mustert mich. Sein Blick ist neutral. Ich kann keine Ressentiments darin erkennen.
Mit dem Daumen deute ich in die Richtung, aus der ich kam.
„Vielen Dank für das Raufbringen meiner Tasche.“
Er lächelt ungezwungen. „Kein Problem. Wenn ich meine Kaffeetasse in der Hand habe, trage ich deutlich mehr Gewicht mit mir herum. Viel hast du nicht, wie?“
„Nein“, gebe ich zu.
„ Könnte mir vorstellen, dass sich das bald ändert“, sinniert er, als wüsste er über Konstantins Pläne Bescheid.
„ Ich weiß nicht“, sage ich ausweichend. „Ich bin übrigens Elise.“
Er kommt auf mich zu und streckt mir die Hand entgegen. Eine ungewöhnliche Geste für einen Vampir. Ich ergreife sie.
„Desmodan“, stellt er sich vor.
Sein Griff ist kräftig, aber nicht gewaltsam. Er ist größer als ich, was keine Überraschung ist. Im Grunde ist nur dann jemand kleiner, wenn ich Liliputaner treffe. Seine Augen sind von einem warmen Braun. Blondes Haar rahmt sein junges Gesicht und sein Äußeres ist sehr gepflegt.
„Ich suche eigentlich die Küche“, erkläre ich ihm und hoffe, dass er mir weiterhelfen kann.
„ Dort entlang“, sagt er lächelnd. „Ich zeige sie dir.“ Ohne Eile geht er voran. „Man kann sich hier leicht in der Fülle der Räume verlieren. Zum Glück sind die Gänge klar strukturiert. Das letzte, was der große Kasten braucht, ist ein Labyrinth.“
Ich nicke dezent. „Gefällt Ihnen das Haus denn nicht?“
„Falls Konstantin vorhätte, es zu verschenken, nehme ich es gerne. Keine Frage. Aber wirklich brauchen kann doch keiner so viel, oder?“
„ Es ist sicherlich eine Statusfrage“, steuere ich vorsichtig bei.
„ Stimmt, darauf legen wir großen Wert. Trotzdem schade um den ungenutzten Platz.“ Seine offene Art verleitet mich zu einem Gespräch mit ihm.
„ Was würden Sie in den leeren Bereichen unterbringen?“
„ Na, eine Kleinstadt oder so etwas“, feixt er und macht eine weitreichende Geste. „Jedenfalls Leute, die sich daran erfreuen können, statt nur davon zu träumen.“
„ Wohnen Sie hier?“, erkundige ich mich.
„ Ja. Mein Zimmer ist am Ende des Ganges. Ganz dort hinten.“ Er zeigt mit dem Finger in die Richtung.
„
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