Schattenherz - Fesseln der Dunkelheit
ein wahrer Künstler im Anrichten der Speisen. Dass er nicht noch Kohlrabi-Schwänchen geschnitzt hat, ist auch alles.
Ich bekomme jetzt auf keinen Fall Fisch herunter, obwohl es nicht wirklich Frühstück für mich ist, sondern Abendessen. Trotzdem bin ich gerade erst aufgestanden.
„ Melone“, sage ich daher.
„ Eine gute Wahl.“
Er schiebt mir ein Stück herüber. Dann nimmt er sich selbst vom Lachs. Kauend sitzen wir beieinander und ich frage mich, was die Szene so grotesk macht. Konstantin stellt mir das Glas mit Saft hin.
„Ich schätze, bei den Getränken brauche ich dich nicht fragen, welches du möchtest.“
Er deutet mit dem Kopf auf ein Warmhaltekännchen und schenkt sich selbst daraus ein. Dicke, rote Flüssigkeit fließt ins Glas und ich weiß sofort, dass es Blut ist. Ein Schaudern rinnt meinen Rücken hinab.
Ich weiß, dass es aus einem Menschen heraus geflossen ist. Blut hat unterschiedliche Qualitäten, so wie Weine. Nicht, dass mir das auffallen könnte. Ernährung und Blutfettwerte spielen genauso eine Rolle wie Eisenmangel. Auch Drogen und Alkohol sind relevant.
Tylandora hat stets behauptet, sie würde schmecken, ob jemand krank ist. Ich erinnere mich, wie sie einmal über mich herfiel, als es mir nicht gut ging. Danach wischte sie sich den Mund mit ihrem Unterarm ab und sagte nur missfällig: „Verpanscht“.
Wenn ich ihr gelegentlich nicht schmeckte, unterstellte sie mir Absicht. Das waren die Bisse, bei denen sie ihre Zähne aus mir riss, als wollte sie sich damit über mein Aroma beschweren. Es tat höllisch weh.
Ich schüttele den Gedanken ab und beobachte Konstantin. Er trinkt davon und seufzt zufrieden auf. Das Blut scheint ihm zu munden.
Sicherlich hat Armand diverse Kochrezepte in seinem Repertoire, die über Blutwurst hinausgehen. Vampire machen sich zu wenig bewusst, dass sie einen Teil des Menschen verzehren, von dem sie trinken. Ich rede nicht allein von den chemischen Inhaltsstoffen unseres Blutes, Nährwerte oder Aminosäuresequenzen. Sie können einem Stücke der Seele rauben.
Es kam vor, dass Tylandora mich innerlich leer gesaugt hat. Besonders dann, wenn ich wusste, dass es eine Bestrafung sein sollte. In solchen Momenten haftete all dem ein sehr schäbiges Gefühl von Missbrauch an. Dachten sie jemals über so etwas nach? Ich bin ihre Nichte und sie behandelte mich wie Nahrung. Wie ein Produkt.
„Alles okay bei dir?“, erkundigt sich Konstantin.
„ Natürlich“, lüge ich.
Eilig trinke ich von meinem Saft, um sein Misstrauen nicht zu wecken.
„Ich habe mir noch nie Frühstück ans Bett bringen lassen“, gesteht er.
Sein Blick sieht aus, als würden wir nun ein süßes Geheimnis teilen. Verwirrt runzle ich die Stirn.
„Es gibt für alles ein erstes Mal“, sage ich unbeholfen.
„ Ich bin froh, dass du das weißt.“
Wieso habe ich das Gefühl, dass wir nicht mehr vom Frühstück reden?
Er drückt auf ein paar Tasten an seinem Bett und die Rollläden beginnen hochzufahren. Letzte Farbreste schimmern am Horizont. Darüber hängt die anbrechende Dunkelheit wie ein Vorhang.
„ Ah“, seufzt er wohlig. „Ich liebe es, wenn eine neue Nacht beginnt.“
Sonnenuntergänge stimmen mich eher melancholisch. Als würde etwas erlöschen, das mir Freiheit schenkt. Nichts ist schöner, als Sonnenstrahlen auf der Haut zu spüren. Sie wärmen mich bis in die Seele. Es scheint fast wie ein Omen, dass der Himmel blutet, bevor die Nacht anbricht. Es ist so bezeichnend für das, was folgt. Der Gedanke lässt mich frösteln. Konstantin scheint mein Unbehagen nicht zu bemerken.
„Vom Turm ist der Blick noch besser“, erklärt er.
„ Wieso habt Ihr nicht dort Euer…“ Ich presse die Lippen zusammen. Seit wann ist dieses Wort so intim?
„ Bett?“, beendet er den Satz. „Ich bin zu faul, um dauernd die Treppe hochzulaufen. Das Badezimmer ist hier unten. Ich wollte auf derselben Ebene mein Schlafzimmer haben.“
„ Natürlich“, wispere ich.
Mit einem Schlag wird mir allzu bewusst, dass ich im Bett eines Mannes bin. Zwar sitzend und mit Kleidung, doch ich habe hier im Grunde nichts verloren.
„Willst du es mal sehen?“, fragt er lapidar.
Das Schlafzimmer?
„Den Turm?“, ergänzt er.
„ Oh. Eigentlich…“ Ich zucke die Schultern. „Okay.“
Verlegen blicke ich aus dem Fenster.
Schlafzimmer, Mann, Bett, nackte Haut, Nacht – wenn mir jemand diese Begriffe geben würde, um eine Szene wahllos zu beschreiben, würde ich nicht an Frühstücken
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