Schattenherz
ersten sechs Monate nach der Hochzeit alleine ließ. Vermutlich war ihm die Frage sehr schwer gefallen.
»Jetzt bittest du mich, dich zu begleiten? Du hättest mich vor Stunden fragen können. Dann wäre ich bereit gewesen.«
»Vor Stunden habe ich bei dir ins Zimmer gesehen. Du hast unruhig geschlafen, außerdem besitzt du nicht das
Durchhaltevermögen, ohne Ruhe den ganzen Tag im Sattel zu sitzen. Also bat ich Jureem, heute morgen ein paar Stunden hierzubleiben und Notizen zu machen, das Lager zu beobachten und soviel wie möglich in Erfahrung zu bringen, damit ich das nächste Mal, wenn ich eine Stadt warnen muß, weiß, wie ich dabei vorzugehen habe. Ich dachte, du könntest bei ihm bleiben und dann später am Vormittag losreiten. Eure Pferde sind schnell, und ihr werdet uns rasch einholen.«
»Darf ich Myrrima mitnehmen?« fragte Iome. »Sie wäre sicher gern dabei. Ich brauche eine Dame, die mir Gesellschaft leistet.«
Gaborn legte nachdenklich die Stirn in Falten. Er wollte die Gattin eines anderen Lords nicht auf eine Reise mitnehmen, die sich womöglich als gefährlich erweisen würde, andererseits sah er das Bedürfnis seiner Gemahlin, die Regeln der Schicklichkeit zu wahren.
»Natürlich«, antwortete er, klang aber ein wenig unschlüssig.
Er blickte sie fest an, schätzte sie mit seinen dunkelblauen Augen ab. »Ich habe die Welpen bei dir im Bett gesehen.«
»Du warst nicht da«, verteidigte sie sich. »Ich brauchte etwas, um mich warm zu halten.«
»Sind die Nächte so kalt?«
»›Nicht nur die Nächte sind heiß in Heredon‹«, zitierte sie den Titel einer schlüpfrigen Ballade, die sie in ihrer Gegenwart niemals hatte öffentlich singen hören.
Gaborn lachte schallend und wurde rot. »Sieh an, meine Gemahlin möchte also ein Wolflord sein und sich in
Bierschenken herumtreiben, zotige Lieder singen und allen ihre Beine zeigen!« unkte er. »Königin der Seitengassen! Die Leute werden behaupten, ich hätte einen schlechten Einfluß auf dich.«
»Du bist also dagegen?«
Gaborn lächelte. »Nein. Wenn ich nicht längst meine Gaben hätte, vielleicht hätte ich dann vergangene Nacht auch bei ein paar Welpen geschlafen. Ich bin erleichtert, daß du Herzog Grovermans Geschenk angenommen hast. Er wird hoch erfreut sein, dir einen so guten Dienst erwiesen zu haben.
Vielleicht sollte ich den Schatzmeister bitten, für dich ein paar Zwingeisen herauszugeben. Hundert sollten genügen.«
»Dann werde ich Jureem ein paar zusätzliche Welpen für dich herbringen lassen«, entschied Iome. »Du ziehst bald in die Schlacht.«
Sie zog ihn an sich und gab ihm, einer plötzlichen Eingebung folgend, einen Kuß, dann wurde ihr auf einmal bewußt, daß währenddessen wahrscheinlich nicht weniger als zehntausend Augen auf sie gerichtet waren. Sie schob ihn verlegen von sich.
»Entschuldige«, sagte sie. »Die Menschen beobachten uns.«
»Sie haben gesehen, wie wir uns bei der Hochzeit geküßt haben«, entgegnete Gaborn, »und wenn ich mich recht erinnere, haben einige gejubelt.« Er gab ihr noch einen Kuß.
»Dann also bis heute nachmittag?«
»Danke«, antwortete sie.
Gaborn biß sich auf die Lippe und lächelte besorgt. »Danke niemals einem Mann, daß er dich in die Schlacht mitnimmt, bevor der Krieg vorüber ist.«
Dann machte er kehrt und verschwand hastig in der Luke oben auf dem Dach des Turmes. Augenblicke später sah sie ihn entschlossenen Schritts den Bergfried verlassen und über die gepflasterten Straßen auf die Königspforte zusteuern, bis er schließlich auf dem Weg hinunter zur schwarzverbrannten Ecke der Marktstraße in der Menge verschwand, dort, wo er vergangene Woche einen Flammenweber getötet hatte.
Steinmetze hatten hart gearbeitet, um die Schäden an den Gebäuden zu beheben, doch die Erneuerung der steinernen Fassaden des Marktes würde Monate oder Jahre dauern, und bereits jetzt hatte die Stelle von den Einheimischen den Namen ›die Schwarze Ecke‹ verpaßt bekommen. Iome stellte sich vor, wie einst Fremden der Weg zu einem Geschäft mit den Worten beschrieben würde: ›Ganz recht, der Silberschmied ist oben an der Schwarzen Ecke, gleich beim Fallgatter‹, und jeder würde wissen, was gemeint war.
Wenn die Menschen das Glück haben, so lange zu leben, dachte sie.
Dann ging sie an die Arbeit. Sie packte ihre Sachen und ließ sich anschließend von einigen Dienern und einem neuen Gardisten – einem kräftigen jungen Burschen mit Namen Sir Donnor – hinaus zur Burg
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