Schattenherz
Luftmangel. Wer seinem Lord Durchhaltevermögen abtrat, konnte an einer Infektion sterben, sobald die nächste Krankheit in der Burg die Runde machte.
Wer die Gaben eines anderen übernahm, konnte zudem
schnell entdecken, daß ihn das Schuldgefühl vergiftete.
Schlimmer noch, da ein mächtiger Runenlord nahezu
unbesiegbar war, würde nur ein Narr ihn unmittelbar angreifen. Statt dessen wurden die Übereigner eines Runenlords zum Ziel von dessen Zorn. Mit dem Tod der Übereigner eines Lords kappte man jene magische Verbindung, die die Eigenschaften dieses Lords verstärkte, und machte ihn dadurch menschenähnlicher und Angriffen gegenüber verletzlicher.
Borenson hatte vor einer Woche Iomes Übereigner
umgebracht. Das war überraschend schmerzhaft gewesen.
Brave Männer und Frauen waren dabei umgekommen. Nacht für Nacht hatte sie bittere Tränen darüber vergossen, denn die Übereigner waren oft gute Freunde gewesen, Menschen, die das Königreich geliebt hatten und es daher hatten stärken wollen.
Als Erdkönig war es Gaborns Ziel, sein Volk zu verteidigen.
Er konnte seine Übereigner in Wehrtürmen wegschließen, sie von seinen mächtigsten Rittern bewachen lassen, die besten Ärzte zu ihrer Versorgung bereitstellen. Und doch war das womöglich nicht genug.
Gaborns Argumente gegen das Übernehmen von Gaben
waren moralisch einwandfrei. Und doch mußte Iome sich wundern. Er war der Erdkönig, die Hoffnung der Welt. Aber wie mächtig konnte er als König sein, wenn er sich selbst angreifbar machte?
»Vergangene Woche«, meinte Iome, »hast du mir geschworen, du seist ein Eidgebundener Lord. Du bist ein guter Mann. Wenn du nur von einem Erwählten Gaben übernimmst, weiß ich, du wirst weisen und besonnenen Gebrauch von ihnen machen. Das macht dich zu einem besseren König. Und weil du der Erdkönig bist, wirst du wissen, wann deine Übereigner in Gefahr sind, und sie besser schützen können.«
»Zu wissen, daß ein Mann in Gefahr schwebt, und ihn zu retten, sind zwei ganz verschiedene Dinge«, antwortete Gaborn ernst. »Nein, ich werde keine Gaben mehr übernehmen. Niemals. Stünde es in meiner Macht, auf meine bisherigen zu verzichten, wäre ich kein Runenlord.«
»Aber was ist mit Raj Ahten? Was geschieht, wenn er tatsächlich seine Meuchelmörder schickt? Denn das wird er ganz sicher tun.«
»In dem Falle werde ich die Gefahr wittern, und wir werden fliehen«, sagte Gaborn. »Aber solange ich es vermeiden kann, werde ich nie wieder gegen einen anderen Menschen kämpfen.«
Derlei Gerede verwirrte Iome. Sie hatte Achtung vor dem Leben, und vor allem vor dem Leben der Menschen ihres Volkes. Aber sie konnte nicht einfach so tun, als gäbe es Raj Ahten nicht mehr. Sie würde ihm seine Untaten niemals vergeben können. Iomes Mutter und Vater waren durch seine Hand gestorben. Und Gaborns Eltern ebenfalls.
Er hätte nach Rache schreien müssen. In diesem Augenblick marschierte Raj Ahten nach Mystarria ein. Alle Mitglieder seines Rates waren darin übereingekommen, Heredons Streitkräfte seien zu schwach, den Wolflord Richtung Süden zu verfolgen. Dafür fehlten ihnen die Krieger und die Kraftpferde. Raj Ahtens Truppen hatten bei ihrer Flucht sämtliche guten Pferde aus Sylvarrestas Stallungen gestohlen.
Als eines der ersten Dinge, die Gaborn nach seinem Eintreffen auf Burg Sylvarresta tat, hatte er die Namen sämtlicher gestohlener Pferde sowie ihrer Übereigner auswendig gelernt.
Anschließend hatte er die Liste zu Herzog Groverman geschickt, wo die Übereignerpferde untergebracht waren, und sie töten lassen.
Es war der verzweifelte Versuch, Raj Ahtens Sturm auf Heredon zu bremsen. Dessen Ritter wären gezwungen
gewesen, gewöhnliche Pferde zu reiten. Vielleicht hatten Skalbairns Unabhängige Ritter wegen dieses Gemetzels unter den Übereignerpferden einige Hinterhalte legen können, die Raj Ahtens Unbesiegbaren einen beträchtlichen Blutzoll abverlangt hatten.
Auf diese Weise in Verlegenheit gebracht, wäre der Wolflord Raj Ahten immer wieder gezwungen, Dörfer um der
Lebensmittel und des Futters willen zu plündern, so daß ein Marsch, der von Kraftpferden in zwei oder drei Tagen zu bewältigen gewesen wäre, den Wolflord jetzt mehr Zeit kostete.
Gaborn hatte Herzog Paldane jenen Zeitvorsprung
verschafft, den er benötigte, um sich zu verschanzen, und eventuell hatte er sogar ermöglicht, daß Teile von Raj Ahtens Truppen zu sehr beansprucht wurden. Gaborns Heimat Mystarria war das größte und
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