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Schattenherz

Schattenherz

Titel: Schattenherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Farland
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einfach in einem Stück durchfliegen?«
    »So ist es sicherer«, sagte Brand. »Hat keinen Sinn, das Tier vor lauter Eile zu Tode zu hetzen.«
    Was konnte er bloß damit meinen? Natürlich mußte sie sich beeilen – und der Tod ihres Tieres war nichts verglichen mit dem Tod der Männer.
    Dann dämmerte ihr die Wahrheit. Bergfried Haberd war abgeschnitten. Was immer sie auch tat, nichts würde einen Unterschied ausmachen. Auf keinen Fall würde Hilfe rechtzeitig eintreffen können. Lord Haberd hatte
    wahrscheinlich längst Boten auf Kraftpferden ausgesandt. Und die Pferde würden schneller vorankommen als sie. Ihre Spitzengeschwindigkeit lag bei vierzig Meilen pro Stunde, und wenn sie zu dieser Jahreszeit Richtung Norden flog, mußte sie vielleicht sogar mit Gegenwinden kämpfen. Ein gutes Pferd, das über genug Gaben des Stoffwechsels, der Kraft und des Durchhaltevermögens verfügte, erreichte mühelos achtzig Meilen.
    »Du schickst mich nicht los, um eine Nachricht zu
    überbringen«, beschwerte sich Averan. Ihre Stimme klang ihr gepreßt, und ihr Herz klopfte.
    Brand blickte sie kurz von oben herab liebevoll lächelnd an.
    »Natürlich nicht. Ich rette dir das Leben, Kind«, gestand er.
    »Nimm die Nachricht für Herzog Paldane trotzdem mit, wenn du willst. Es besteht immer die Möglichkeit, daß die Reiter nicht durchkommen.«
    Er beugte sich zu ihr vor und flüsterte verschwörerisch:
    »Aber wenn du meinen Rat hören willst, ich würde dort nicht haltmachen. Der Palast in Carris ist eine Todesfalle. Sollten die Greifer dorthin ziehen, nehmen sie ihn womöglich innerhalb von vierzehn Tagen ein, und es gibt keinerlei Garantie dafür, daß Paldane dich auf dem Tier, auf dem du gekommen bist, auch wieder davonfliegen läßt. Erzähl ihm, du hättest den Auftrag, eine Warnung weiter nach Norden zu befördern, zum Vetter zweiten Grades unseres Lords in Montalfer. Dann wird Paldane nicht wagen, dich festzuhalten.«
    Ledernacken flog mühsam, das Mutterschaf irgendeines Schäfers in seinem riesigen Maul, mit den Flügeln schlagend von den nebelverhangenen Hügeln herauf. Er wirkte ungeduldig. Nervös sah er sich mit seinen kleinen goldenen Augen um.
    Mit seinen mächtigen Schwingen flatternd, daß die Luft an Averans Haaren zerrte, setzte das riesige Tier auf dem Landeplatz auf. Er machte einen unbeholfenen Hüpfer, dann legte er den toten Schafskörper Brand zu Füßen, wie eine Riesenkatze, die seinem Herrchen eine tote Maus darbringt.
    Der Graak stand da und versuchte mit zitternden Hautfalten an der Kehle, wieder zu Atem zu kommen.
    Er beugte sich vor, rieb seine Schnauze an Brands Brust.
    Der lächelte versonnen, streckte die gesunde Hand aus, tätschelte die Nase des Tieres und entfernte einen Fleischbrocken aus den säbelartigen Zähnen.
    »Du wirst mir fehlen, alte Echse«, sagte Brand. Er warf die Lammkeule in die Luft, so hoch er konnte. Ledernacken schnappte sie sich, bevor sie den Boden berührte.
    Nun wandte sich Brand an Averan: »Früher, als kleiner Junge, bin ich auf ihm geritten, mußt du wissen, vor vierzig Jahren – genau wie König Orden. Du reitest also ein königliches Tier.«
    Ledernacken war einer der ältesten Graaks im Horst und nicht gerade der, den sie sich ausgesucht hätte. Aber er war gut abgerichtet, außerdem hatte Brand immer eine besondere Zuneigung für das Ungeheuer empfunden. »Ich werde gut auf ihn aufpassen«, versprach sie.
    Brand ballte, die Handfläche nach unten gedreht, die Hand zur Faust, und das große Reptil beugte sich vor und ging in die Hocke, damit Averan aufsteigen konnte. Sie nahm einen Schritt Anlauf und war mit einem Satz oben. Wie alle Himmelsgleiter besaß sie eine Gabe des Durchhaltevermögens und eine der Muskelkraft. Somit war sie kräftiger und ausdauernder als jeder gewöhnliche Mensch, und wegen ihrer geringen Größe war es für sie ein leichtes, aufzuspringen und auf dem Rücken des Monstrums herumzukrabbeln. Zusätzlich zu diesen Gaben besaß sie ebenfalls eine der Geisteskraft, die es ihr ermöglichte, praktisch jede Nachricht, die sie für ihren Lord überbringen sollte, wörtlich wiederzugeben. Diese Gaben unterschieden sie von anderen Kindern. Sie war erst neun, hatte in ihrem kurzen Leben jedoch viel gelernt.
    Averan machte es sich vor der ersten hornigen Schuppe im Nacken des Tieres bequem. Sie kratzte die lederne Haut des Graak.
    »Stürze nie«, rief Brand. Das war die erste Regel, die man einem Himmelsgleiter als Kind beibrachte.

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