Schattenherz
rundes Zelt den uneleganten, von Pferdelords bevorzugten Stil auf, bei dem nur ein einziger Pfosten in der Mitte stand.
Fast genau unterhalb von Myrrima bildete ein ver—
schlammter Turnierplatz den Mittelpunkt der von den kleineren Lords errichteten Großzelte, der von Pfosten mit darüber gelegten Querhölzern umringt war, von denen aus die Zuschauer das Geschehen verfolgten. Einige der Querhölzer waren mit eleganten Wandteppichen behangen, um die eleganten Kleider der Zuschauer vor spritzendem Schlamm zu schützen. Überall zogen Verkäufer von Gebäck und gerösteten Haselnüssen durch das Gedränge und priesen ihre Ware an.
Die Flanken des Hügels, auf dem Erin und Myrrima standen, waren so steil und mit Unterholz und Felsen übersät, daß niemand von hier aus dem Geschehen zuschaute. Dennoch hielt Myrrima diese Stelle für fast perfekt, um über die Menschenmenge hinweg in die Arena zu blicken, und der Lärm wurde bemerkenswert gut heraufgetragen. An die rauhe Rinde einer Eiche geklammert, ließ sie den Blick über die gut achtzig Fuß unter ihr stehende Menge hinwegwandern und beobachtete zusammen mit Erin Connal und ihrer Days das Turnierspiel.
Einen Tjost zu reiten galt in Rofehavan als Zeitvertreib für junge Burschen – junge Männer, die noch in ihrer
Kriegsausbildung steckten. Unter Runenlords, denen Gaben der Muskelkraft übermenschliche Stärke verliehen, konnte selbst ein beiläufiger Treffer mit einer Lanze tödlich sein.
Daher gab es im Leben eines jeden Kriegers einen Zeitpunkt, an dem er sich von den Turnierspielen verabschiedete.
Auf dem Turnierplatz saßen zwei junge Burschen in voller Rüstung auf Schlachtrössern. Der Junge am westlichen Rand des Platzes schien von recht gewöhnlicher Herkunft zu sein.
Er trug eine Turnierausrüstung, die aus einem überaus schweren Helm und einem Brustharnisch bestand, der auf der rechten Seite, dort, wo eine Lanze wahrscheinlicher mit Wucht aufprallen würde, üblicherweise dicker war als auf der linken.
Dem Anschein nach handelte es sich um alte Rüstungsteile, die er aus allen möglichen geliehenen und gefundenen Stücken zusammengeschustert hatte. Sein einziger Schmuck bestand in einem leuchtendviolett eingefärbten Pferdeschwanz, den er sich neben die Gunstbezeigung seiner Dame, einem gelben, am Lanzenschaft festgebundenen
Seidenschal, an den Helm gesteckt hatte. Myrrimas Herz flog dem Jungen zu.
Der Bursche auf der anderen Seite des Platzes war
wohlhabender. Seine Turnierausrüstung war neu, ihre Herstellung hatte offenkundig wenigstens ein Jahr gedauert.
Brustharnisch, Helm, Schulterstücke und Handschuhe, alles zusammenpassend, waren aus brüniertem, mit roter Emaille beschichtetem Silber, auf dem die Abbildung dreier kämpfender Mastiffs zu erkennen war. Er trug ein Cape aus golddurchwirktem Stoff, dazu gebleichte Pfauenfedern an seinem Zimier.
Der Lord der Spiele, Baron Wellensby, saß mit seinen drei feisten Töchtern und seiner gewaltigen Gemahlin in einem gesonderten Pavillon ein Stück seitab. Der Baron war in eine lächerliche hell purpurne Houppelande gekleidet, deren Arme so bauschig waren, daß sich Kinder darin hätten verstecken können. Darüber trug er einen weißen Hut mit einer breiten Krempe, die ihm so tief ins Gesicht hing, als glaube er, so werde niemand bemerken, wenn er das gesamte Turnier verschlief. Seine Gemahlin, die nicht gerade ein Ausbund der Mode war, trug eine smaragdfarbene Cotehardie mit prachtvoll bestickten, fließenden Ärmeln. Sie tätschelte das Hündchen in der geschlitzten Tasche in ihrem Schoß, das gerade weit genug hervorlugte, um zu kläffen, sobald die Ritter vorübergaloppierten. Ihre wenigen an die Krieger gerichteten Anfeuerungsrufe klangen dem Gekläff des Hundes seltsam ähnlich.
Es war offensichtlich ein Gang von vielen, den die jungen Burschen bereits geritten hatten. Ihre Namen waren bereits verkündet worden, und wenn sie um irgendeine besondere Ehre kämpften, dann waren die Bestimmungen des Kampfes bereits genannt und die Bedingungen festgelegt.
Jetzt senkte Baron Wellensby seine Lanze. Auf dieses Signal hin brachten auch die Burschen auf den Streitrössern ihre Lanzen in eine geneigte Stellung und hoben, die Fersen in die Rippen ihrer Tiere bohrend, zu lautem Gebrüll an.
Die Schlachtrösser warfen den Kopf zurück und stürmten mit klingender Rüstung und im Schlamm donnernden Hufen aufeinander zu. Der junge Mann, der das Cape aus golddurchwirktem Stoff trug, hatte Dutzende
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