Schattenherz
Angriffsplan der Greifer zu durchschauen.
Ich muß gestehen, für mich ergibt er wenig Sinn. Die Greifer kommen an weit auseinanderliegenden Orten an die
Erdoberfläche, von denen die meisten weit von jeder menschlichen Siedlung entfernt sind.
Eins ist mir jedoch aufgefallen. Überall dort, wo sie hervorgekommen sind, existiert entweder in der Nähe ein alter Vulkan, oder es handelt sich um ein Gebiet mit heißen Quellen oder Geysiren.«
»Und das bedeutet?« wollte Gaborn wissen.
»Im Herzen der Erde existiert ein Reich des Feuers«, erklärte Binnesman, »wie Ihr mit eigenen Augen sehen konntet, als wir beim Idymeanmeer eintrafen.
Ich denke«, fuhr Binnesman fort, »dieses Reich des Feuers reicht an manchen Orten näher an die Erdoberfläche heran als an anderen. Und an diesen Orten bilden sich dann heiße Quellen, und es entstehen Vulkane. Jetzt frage ich mich: Vielleicht treibt die Hitze die Greifer an die Oberfläche?«
Gaborn wechselte das Thema. »Raj Ahten scheint einen ernsthaften Angriff auf Mystarria vorzubereiten. Ich muß einen Rat aus meinen Heerführern einberufen.«
»Krieg mit Raj Ahten?« fragte Binnesman. »Fühlt Ihr Weisheit in einer solchen Entscheidung, wo doch so viele Greifer an die Oberfläche drängen?«
Gaborn seufzte tief: »Nein. Ich wage es nicht, gegen ihn zu kämpfen, denn – ob er will oder nicht – ich bin sein Beschützer. Aber wenn ich wenigstens den Anschein erwecke, als wäre ich zum Krieg bereit, wird der Wolflord noch größeren Schaden anrichten. Hoffentlich erfährt er von den Gefahren, die seinem Land drohen, und zieht sich nach Indhopal zurück, um sich dort zu verschanzen. Vielleicht kann ich sogar einen Waffenstillstand aushandeln.«
Der Zauberer betrachtete ihn nachdenklich.
»Wenn Ihr wollt, könnt Ihr versuchen, Raj Ahten zu
zähmen«, sagte Binnesman. »Aber ich weiß nicht, ob selbst Ihr ihn retten könnt. Vergeßt nicht, daß ich ihn vor einer Woche mit einem Fluch belegt habe. Solche Flüche brauchen ihre Zeit, um ihre volle Wirkung zu erzielen, vermutlich könnt Ihr ihm im Augenblick jedoch nicht helfen.«
»Zum Wohl meines Volkes muß ich es wagen«, erwiderte Gaborn.
Binnesman beäugte ihn unter seinen buschigen Brauen hervor. »Und zum Wohl Eures Volkes muß ich Euch warnen: Raj Ahten wird vermutlich keinen Rat von einem Feinde annehmen. Ihr begebt Euch in Todesgefahr, wenn Ihr Euch vor ihn stellt. Möglicherweise will er Euch sogar in eine Schlacht hineinziehen, da er weiß, daß er Euch hier in der Nähe des Dunnwaldes nicht angreifen kann, wo die Wichte Euch beschützen.«
»Ich weiß«, antwortete Gaborn unbehaglich. »Werdet Ihr mich denn begleiten?«
»Euch ist bekannt, daß meine Stärken im Krieg nichts nutzen«, sagte Binnesman, »aber ich könnte Euch im Abstand von ein oder zwei Tagen folgen und Euch soweit helfen, wie es mir möglich ist. Im Augenblick jedoch muß ich mich auf den Kampf mit dem Glorreichen der Finsternis vorbereiten, denn ihm muß ich mich allein stellen.«
»Ihr?« fragte Gaborn. »Alleine, ohne einen Wylde? Ich kann fünfzigtausend Ritter aufbringen, die an Eurer Seite kämpfen.«
»Die würden Euch überhaupt nichts nützen – sie würden nur getötet werden«, hielt Binnesman dagegen. »Welche Waffen besitzt Ihr?« fragte Gaborn. »Ich… nun, das weiß ich noch nicht«, antwortete Binnesman. »Ich werde mir etwas einfallen lassen müssen. Was Euch betrifft, so haltet Euren Kriegsrat ab. Eure Männer kennen sich mit dem Kämpfen besser aus als ich. In der Dämmerung müßt Ihr die Menschen warnen, damit sie von Burg Sylvarresta fliehen. Bestimmt werdet Ihr fühlen, wie sich die Gefahr nähert. Und jetzt brauche ich Ruhe.«
Ohne weitere Vorrede wankte er in eine Ecke und legte sich im dicken Lehm nieder. Der Lehm konnte noch nicht lange hier gelegen haben, stellte Iome fest. Die Fußböden hier im Keller waren mit Steinplatten bedeckt, die man auf das festgetretene Erdreich gelegt hatte. Der Zauberer mußte diese Erde selbst hergebracht haben. Erdwächter verabreichten Kranken oftmals heilende Erde. Iome fragte sich, ob diejenige, auf der er jetzt schlief, über irgendwelche besonderen Eigenschaften verfügte. Er scharrte sie händeweise heran und besprenkelte sich damit, und kurz darauf war er friedlich eingeschlafen.
Iome sah sich um. Jetzt roch der Raum nur schwach nach Schimmel und nach den klaren Aromen der Kräuter des Zauberers. Sie spürte die Macht der Erde hier, dieses eigenartig kribbelnde
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