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Schatteninsel

Schatteninsel

Titel: Schatteninsel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marko Hautala
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Menschliche Gestalten. Sie tauchten auf, wenn der Schimmer im Meer stärker wurde und sich dem Land näherte, wurden dann wieder von der Dunkelheit verschlungen.
    Ihr Atem ließ das Fenster beschlagen. Die Scheibe quietschte leise, als Jenni sie mit der Handfläche abwischte.Jenni hielt den Atem an und kniff die Augen zusammen.
    Die menschlichen Gestalten bewegten sich seltsam, schienen zuerst zu eilen, blieben dann stehen, beugten sich wie verkrampft vor, als würden sie das Meer anschreien. Jenni dachte an den grauen Regenmantel und an den jungen Mann mit dem Welpen auf dem Bootssteg.
    In ihrem schläfrigen Kopf schienen diese Bilder etwas ausdrücken zu wollen, das über ihren Verstand ging. Das Licht leuchtete vermutlich in der Nähe der Landspitze, auf der sie mit Miro gewesen war, aber in der Dunkelheit war sie sich dessen nicht ganz sicher. Vielleicht war ein Schiff gestrandet, und nun suchten Taucher mit Unterwasserlaternen nach Leichen. Vielleicht waren die am Ufer zuckenden Gestalten Angehörige und Freunde der Ertrunkenen. Eine große Katastrophe für die kleine Gemeinschaft, an die man sich noch nach Jahrzehnten erinnern würde.
    Jenni drehte sich um und betrachtete das Zimmer, Miro, Aaron. Sie widerstand der Versuchung, einen der beiden zu wecken. Die Lichterscheinung und die zuckenden Menschengestalten wirkten so irreal, dass sie gern jemanden gehabt hätte, der sich mit ihr darüber wunderte und ihr bestätigte, dass sie keine Irrbilder sah.
    Jenni betrachtete die Bewegung des Lichts, bis sie restlos erschöpft war. Dann legte sie sich wieder ins Bett und stellte sich die Wogen vor, die über das Fischerboot schlugen, als hätte sich die Nacht selbst voller Wut in Wasser verwandelt.
    An der Schwelle zum Schlaf sah sie Markus’ Gesicht. Sie streckte die Hand aus und ließ die Fingerspitzen darüberwandern. Das Licht wurde heller. Es zitterte auf Markus’Gesicht, in den Falten, Dellen, Poren. Das Narbengewebe zog sich unter der Berührung zurück, verwandelte sich in glatte Haut.

A ls außer Jakob nur noch der Apotheker und zwei Seeleute übrig waren, hoben sie vorsorglich die Gräber für alle vier aus. Jakob betrachtete die Plackerei der ausgemergelten Männer und überlegte, welche der Gruben für ihn bestimmt war.
    Als die Arbeit vollbracht war, stützte sich der eine der beiden Seeleute auf das Brett, das er als Schaufel benutzt hatte, und brach nach einer Weile am Rand des letzten Grabes zusammen. Der Apotheker vergewisserte sich, dass der Mann tot war, und schob die Leiche ins Grab. Als es mit Erde bedeckt und mit Steinen markiert war, hielt er eine kraftlose Rede, in der er betonte, dass es sich bei den Gräbern nur um eine Vorsichtsmaßnahme handelte; er beschrieb Wahrscheinlichkeitsketten: Schiffe führen auf dieser Route, und es bestehe noch immer die Möglichkeit, dass sie gerettet würden. Jakob wusste, dass sein Ende gekommen war, wenn der Apotheker die letzte Hoffnung verlor. Bis dahin war er in Sicherheit. Dank der Gnade eines Sklaven der Krone.
    Nach der Rede stürzte sich der letzte Seemann auf den Apotheker und schrie, man müsse die Leiche ausgraben und auf den Uferfelsen legen, um Vögel anzulocken. Jakob lehnte sich an einen Baumstamm und beobachtete leise lachend den Kampf der Männer. Die verlumpten Körperwanden sich umeinander, als liefe die Zeit verlangsamt ab. Der Apotheker war nicht an Handgreiflichkeiten gewöhnt, doch da er größer war, behielt er die Oberhand.
    »Ich weiß, was ihr getan habt, du und dein Gefährte«, sagte er und presste den Kopf des Mannes auf das Geröll. »Ich weiß, was für Fleisch du zwischen den Zähnen hast.«
    Er nahm einen Stein vom Grab und schlug ihn dem Mann drei Mal auf den Kopf. Nach jedem Schlag fiel ihm der Stein aus der Hand, doch er nahm ihn immer wieder auf und schlug zu, langsam, aber entschlossen, bis der Mann sich nicht mehr bewegte.
    Der Apotheker wälzte sich von dem Toten herunter, lehnte sich ächzend an einen Felsen und holte die kleine braune Flasche aus seiner Jacke. Er trank gierig daraus und verkorkte sie sorgfältig. Plötzlich wurde Jakob bewusst, dass der Apotheker seine Arzneiflasche nie bei Tageslicht hervorgezogen hatte, als die Seeleute noch lebten.
    »Es wird ein Schiff kommen«, sagte der Apotheker mit rasselndem Atem und zeigte Jakob die Flasche. »Wir werden den Hafen erreichen. Dafür habe ich gesorgt. Die Essenz hätte nicht für alle gereicht.«
    »Wenn es den Hafen noch gibt«, warf Jakob ein. Als der

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