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Schatteninsel

Schatteninsel

Titel: Schatteninsel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marko Hautala
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Apotheker ihn verständnislos ansah, erklärte er:
    »Die ganze Schöpfung wird hinweggefegt, sie bröckelt bereits. Deinen Hafen hat vielleicht schon ein Feuersturm verschlungen. Und kein Schiff segelt mehr in Gewässern, auf deren Grund alle Widerwärtigkeiten der Schöpfung erwacht sind und an Land kriechen, um zu sterben.«
    Der Apotheker schüttelte den Kopf.
    »Warum hasst Ihr die Welt so sehr?«, fragte er. »Seht Ihr nichts Gutes darin?«
    »Diese Welt ist ein Zerrbild der Welt, auf die ich meinen Blick richte.«
    »Seht die Vögel am Himmel. Wie friedlich sie über den Winden dahingleiten. Wie das Licht sogar die Sturmwolken durchdringt. Die Schöpfung ist perfekt. Ihr Lauf wird von der feinsten Mechanik gesteuert.«
    »Das sind die Irrwege weltlicher Weisheit«, entgegnete Jakob. »Die Schöpfung ist leer. Ein Mensch, der von ihr lebt, ist so viel wert wie ein Wurm, der sich durch die Erde schlängelt und der keine Augen hat, zu sehen, keinen Geist, zu denken. Wenn man einen Wurm in die Hand nimmt, spürt man, wie er sich windet. Er will noch ein Maulvoll Humus. In Gottes Augen hat der Wurm keinen Wert. Er darf zerquetscht werden, inmitten seines kopflosen Treibens, das Maul gefüllt mit dem Humus seiner Welt.«
    »Hat das Leben Euch nichts Gutes gegeben?«, fragte der Apotheker müde, aber immer noch begierig zu verstehen. »Habt Ihr nie die Treue einer Ehefrau, die Ehrerbietung von Kindern erlebt?«
    Jakob schwieg. Er ballte die Hand zur Faust und öffnete sie, wieder und wieder. Die Furchen in der Handfläche nahmen das Licht langsam auf, als wären es jedes Mal andere.
    »Das war einmal«, sagte er dann.
    »Ich kann mir Eure Familie nicht vorstellen«, meinte der Apotheker. »Wie haben Eure Angehörigen geheißen? Vielleicht würden mir die Namen helfen, sie vor mir zu sehen?«
    Wieder ballte Jakob eine Faust. Er flüsterte die Namen so leise, dass der Wind sie davontrug.
    Katharina. Malin. Beata .
    Der Apotheker hörte nichts. Den Kopf schräg gelegt, wartete er auf Antwort. In dieser Position wird er sterben, dachte Jakob. Die Vögel werden ihm als Erstes die Augen auspicken. Augen, welche die imaginären Gesetzmäßigkeiten des Himmels und die Mischung von Heilkräutern in Glasgefäßen betrachtet hatten. Nur die Höhlen würden bleiben, und keine Spur von jenen Wundern.
    »Manchmal, wenn ich die Vögel betrachte«, sagte der Apotheker, als hätte er seine Frage vergessen, »überlege ich, wie sie sich dort oben in der Luft halten, während wir an die Erde gebunden sind. Der heilige Augustinus meint, die Verdunstung des Wassers mache die Luft dichter, die Vögel würden von einem unsichtbaren Wassernebel getragen. Gott hat die Welt so erschaffen, dass das Wasser verdunstet, aber er selbst lässt es nicht verdunsten. Es ist das von Ihm geschaffene Gesetz der Welt, das aus sich selbst wirkt.«
    Die Schreie der Möwen. Der Schatten eines Vogels strich über das Gesicht des Apothekers wie ein schwarzer Schleier. Er sprach über die Vögel, hatte aber nicht mehr die Kraft, sie zu betrachten.
    »Wie wundersam ist diese Mechanik! In meinem Herzen weiß ich, dass sie nicht zufällig entstanden sein kann, sondern dass Gott alles so eingerichtet hat. Aber mein Verstand …«
    Der Apotheker hob träge die Hand und strich sich über die Stirn.
    »Er lässt mich mitunter das Gleiten und den Sturzflug der Vögel betrachten wie materialisierte Musik, die keinen Komponisten hat. Versteht Ihr?«
    Jakob bestätigte ihm nicht, dass er ihn verstand. Die Schatten der Vögel strichen über den steinigen Bodenzwischen ihnen. Jakob betrachtete das schlaffe Gesicht des Apothekers. Wie man die Borke eines Baumes betrachtet, einen Uferfelsen, die Form einer Welle.
    Katharina. Malin. Beata.
    »Ich spreche auf die Gefahr ewiger Verdammnis hin, aber soll man seine Sünden nicht offen bekennen? Manchmal, wenn ich die Mechanik der Schöpfung und des Himmels betrachte, geschieht es, dass ich mich gleichsam … verliere. Ich sehe die Hand Gottes nicht mehr, spüre keine Seele in meiner Brust. Denkt nur …, dass nur wir hier wären, die Vögel, der Wind. Alle gleichermaßen seelenlos. Und wenn wir unser Ende finden, nähren die leeren Schalen unseres Körpers andere Kreaturen, als hätten wir nie einen Namen gehabt, eine Überzeugung, die Liebe unserer Familie. Eine Seele.«
    Jakob blickte auf den blutbefleckten Stein, der einige Meter von dem Apotheker entfernt lag.
    »Aber was wäre die Folge, wenn diese Teufel des Zweifels von

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