Schatteninsel
lachte freudlos.
»Und wenn ein Mensch seine sündige Fratze anstarrt, kann es geschehen, dass er gewissermaßen erwacht, aus dem Bann des Teufels gerissen wird. Die Seele erkennt , in welch klägliche irdische Hülle Satan sie geworfen hat, und bereut . Deshalb ist mir dieser Spiegel wie eine kleine Bibel, ich studiere ihn so regelmäßig wie das Wort.«
Jakob betrachtete das flackernde Auge im Spiegel. Einen Moment lang sah es aus wie sein eigenes.
Am nächsten Morgen erwachte Jakob aus wirren Albträumen und sah, dass der Landvermesser von seiner Liege verschwunden war.
Jakob stand auf und vergewisserte sich, dass die Truhe immer noch verschlossen war. Hob vorsichtshalber den Deckel und sah nach, ob noch alle Wertgegenstände vorhanden waren. Dann öffnete er die Haustür und rief nach Katharina, deren Bett schon leer war. Es kam keine Antwort. Erst jetzt wurde Jakob bewusst, wie still es im Haus war. Nur der Wind ließ die Fugen knarren. Jakob schloss die Tür.
Auf dem Tisch lag ein Buch, darauf ein kleiner Spiegel. Jakob betrachtete die beiden Gegenstände verwundert; er wusste, dass sie ihm zugedacht waren. Der Gedanke erfüllte ihn mit unerklärlichem Entsetzen. Er hatte das Gefühl, er müsse sich auf den Boden werfen und den Herrn bitten, ihn von dieser Last zu befreien.
Jakob lief aus dem Haus und rief erneut nach Katharina und den Kindern. Keine Antwort. Er fragte die Leute im Dorf, ob sie seine Familie gesehen hatten. Vergebens.
Ratlos kehrte Jakob ins Haus zurück und lauschte dem Rauschen in seinen Ohren, der seltsamen Ruhe seiner Gedanken. Er betrachtete seine Hand, krümmte die Finger zur Faust, streckte sie wieder aus. Zwischen den Fingern sah er den Tisch. Darauf die beiden Gegenstände.
Jakob nahm den Spiegel vom Buch.
Auf dem Buchdeckel stand: Israel Ulstadius, Allein mit Gott .
Jakob betrachtete die Buchstaben, bis er das Gefühl hatte, in ihren Linien, sanften Schwüngen und schroffen Kanten gefangen zu sein. Er zwang sich, in den Spiegel zu blicken.
Es geschah genau das, wovon Ulstadius gesprochen hatte. Jakob hatte den Eindruck, das missförmige Abbild eines Fremden zu sehen. Er hielt sich den Spiegel noch vor die Augen, als die Abenddämmerung einsetzte.
Als es dunkel wurde, legte er den Spiegel auf den Tisch und blickte sich um. Seine Frau und seine Kinder waren immer noch fort. Das Feuer war längst erloschen. Die Kälte hatte sich ins Haus geschlichen.
Jakob nahm Ulstadius’ Buch und schlug die erste Seite auf.
Katharina, Malin und Beata wurden am nächsten Morgen gefunden. Sie lagen im Graben neben dem Weg, der ins Dorf führte. Ein Händler hatte dort angehalten, weil er einen Streifen schönen weißen Stoffes gesehen hatte. Die Gesichter und Lippen waren bläulich verfärbt. Über jeden Hals verlief ein Schnitt.
An Malins Hemdchen war eine Holztafel befestigt, auf der stand:
Weltliches Glück .
Nach diesem Geschehnis nahm Jakob den Geschmack der Speisen und des Bieres nicht mehr wahr. Er aß und trank nur, um am Leben zu bleiben. Mechanisch erledigte er seine Arbeiten. Abends las er in Ulstadius’ Buch, betrachtete den Sonnenuntergang und das Licht auf den roten Wänden der Bootsschuppen. Das Krümmen und Strecken seiner Finger. Vorherbestimmt, jedes Umblättern der Buchseiten und jede Bewegung der Gelenke.
Jakob fand den Landvermesser Ulstadius zwei Jahre später im Norden. Er hatte auf dem Markt die Berichte der Kaufleute über einen neuen Glauben gehört, der dort aufgelodert war. Ein unter den Glasermeistern verbreiteter Glaube, bei dessen geheimen Riten große Spiegel getragen wurden, vor denen Außenstehende erschraken. Die Kaufleute und Bauern sagten, dass die Spiegel einen Teil der Welt stahlen , wenn sie dem Betrachter sein eigenes Bild zeigten. Sie brachten Leere dahin, wo die Landschaft sein sollte, die doch der natürliche Anblick war. Man erzählte von einem Fischer im Norden, der versehentlich zwischen zwei einander gegenüberstehende Spiegel geraten war, die endlose Reihe seines Abbilds betrachtet hatte und vom Fleck weg in den Himmel oder in die Hölle gerissen worden war, sodass nur seine Stiefel zurückblieben.
Ulstadius erkannte Jakob sofort. Er konnte seinen Triumph nicht verbergen, als Jakob ihn um seinen Segen bat und damit bewies, dass er die grausame Lehre verstandenhatte. Ulstadius lehrte Jakob, das Korn zu erkennen, und berichtete ihm, welche Kraft es besaß.
Schon als Jakob zum zweiten Mal mit Ulstadius allein war, zog er sein Messer und
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