Schatteninsel
Mann, der einen Arm über ihre Schulter streckte. Er hielt etwas in der geschlossenen Hand; das Mädchen betrachtete es wie ein leuchtendes Wunder. Der Mann sprach, aber Markus konnte seine Stimme nicht hören. Er trug ein weißes Polohemd und weiße Shorts, die die Hälfte seiner starken Oberschenkel bedeckten. Seine freie Hand lag auf der Schulter des Mädchens. Das Mädchen hatte ein rosa Trägerkleid an, dessen einer Träger von der Schulter auf den Arm gerutscht war. Sie hätte ihn nicht hochschieben können, selbst wenn sie es gewollt hätte, denn die Hand des Mannes lag auf ihrer Schulter. Aber das Mädchen bemerkte den verrutschten Träger gar nicht, denn sie war betrunken. Sie befanden sich in einer Welt, in der es niemanden störte, dass alle betrunken waren, auch die Kinder.
Auf dem Gesicht des Mädchens lag ein müdes halbherziges Lächeln. Ihre Augen schienen das Leuchten des Gegenstands widerzuspiegeln, den der Mann in der Hand hielt. Dieser Gegenstand hatte das Mädchen in seinen Bann gezogen, aber sie musste die aufdringliche Nähe des Mannes spüren. Vielleicht war sie zu dem Schluss gekommen, dass es keine Rolle spielte. Dass die Zudringlichkeit genauso aufregend war wie der Glanz des in der Hand verborgenen Gegenstands.
Markus wusste den Namen des Mädchens und des Mannes. Er hätte sie rufen können, sodass sie ihn anblickten, ihn im Rechteck der Tür sahen. Er wollte die Namen laut aussprechen, näher treten. Doch sobald er einen Schritt machte, verschwand der Sand unter seinen Füßen. Auch das Licht erlosch, es blieb nur die Dunkelheit, die im feuchten Auge des Elches wohnte.
−
Am Morgen wurde Jenni durch ein leises Klopfen geweckt. Sie hob den Kopf und sah Ina an der Tür stehen. Aus dem Erdgeschoss war Miros Stimme zu hören. Jenni setzte sich auf und betrachtete das leere Bett.
»Miro ist unten«, flüsterte Ina.
Aarons Atem ging regelmäßig, ohne Unterbrechungen.
»Er will mit mir zum Einkaufen. Ist das in Ordnung?«
Jenni murmelte demonstrativ vor sich hin und stand auf.
»Warte einen Moment«, sagte sie und rieb sich das Gesicht. »Ich komm runter.«
Ina schloss die Tür, und Jenni zog sich an.
»Wir machen einen Ausflug«, rief Miro fröhlich, als Jenni herunterkam.
Vorher hatte seine Stimme gedämpft geklungen, als hätte ihn jemand ermahnt, leise zu sprechen, um die anderen nicht zu wecken.
»Das sind ja ganz neue Pläne«, antwortete Jenni.
Ina hielt ihr eine Kaffeetasse hin. Jenni nahm sie nach kurzem Zögern.
»Komm doch mit«, sagte Ina. »Ich dachte nur, dass es Miro hier vielleicht ein bisschen langweilig ist.«
Während sie ihren Kaffee trank, betrachtete Jenni Miros ruheloses Wandern um den Esstisch. Der Junge patschte mit der flachen Hand auf die Tischplatte, ließ dabei aber die Stelle aus, wo Lisa gesessen hatte. Jenni warf einen Blick nach draußen und sah, dass Lisas Wagen verschwunden war. Ina folgte ihrem Blick.
»Sie ist mit Markus zum Arzt gefahren«, sagte sie. »Heute Abend sind sie wieder zurück. Hör mal.«
Jenni brummte in ihre Kaffeetasse.
»Sie hat gesagt, dass es ihr leid tut. Sehr leid.«
»Was?«
»Dass sie die Beherrschung verloren hat. Sie hat mich gebeten, es dir und Aaron zu sagen.«
Jenni sah Ina in die Augen, suchte nach einem Hinweis auf eine gutwillige Lüge.
»Red keinen Unsinn, Ina. Das hilft nichts.«
»Tu ich ja gar nicht. Sie hat es wirklich gesagt.«
Ina lächelte strahlend. War sie wirklich mit so wenig zufrieden? Genügte es ihr, dass die Menschen sich nicht hassten?
»Zieh dir was Warmes an, dann fahren wir los«, sagte Ina, während Jenni aus dem Fenster starrte, auf den leeren Fleck, wo Lisas Auto gestanden hatte.Sie fuhren etwa fünf Kilometer auf dem Weg, auf dem sie zu Markus’ Haus gekommen waren. Jenni war nicht sicher, ob sie an der Stelle vorbeikamen, wo Aaron Miro aus dem Wagen gezerrt hatte. Zum Glück wurde sie aus diesen Überlegungen gerissen, als Ina auf einen sich windenden Sandweg abbog, der stellenweise so schmal war, dass die Äste das Auto streiften. Bald erreichten sie eine kleine Lichtung, hinter der wieder das Meer zu sehen war. Jenni wunderte sich, denn sie hatte geglaubt, sie seien weit weg vom Ufer. Eine dunkle Wolkenmasse bedeckte die Hälfte des Himmels. Sie schien unbeweglich über ihnen zu hängen, aber der Wind war stärker geworden.
»Da sind wir«, sagte Ina und öffnete Jennis Sicherheitsgurt mit einem Klick. Sie selbst hatte sich nicht angeschnallt.
Jenni musterte die
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