Schattenjäger
Es scheint mir ein Leben lang her, dass ich diese Frau war.«
Auch das entsprach der Wahrheit. Die Frau, die sich R. M. genannt hatte, war jemand, der sich selbst im Griff hatte, der kontrollierte. Sie hatte ihre Sucht überwunden und wusste, wo sie im Universum hingehörte und welche Rolle sie spielte.
Die Frau, die nun aber vor Jake Ramsey stand, ihre Hand in der seinen, mit verkrampften Eingeweiden und vor Entzugserscheinungen zitternd, war nicht diese Person.
»Ich weiß, was Sie meinen. Es ist so vieles geschehen, ja. Aber es ist schon in Ordnung. Ich… ich habe Sie besser kennengelernt. Als wir in der Khala waren… habe ich Sie berührt.« Seine Stimme war sanft.
Ausgezeichnet. »Du berührst mich jetzt«, wechselte sie zum Du und tat damit einen weiteren Schritt.
Er nickte, wirkte im Mondlicht sehr jungenhaft und unsicher. Ein paar Worte noch, und er gehörte ihr. Er würde…
… umgebracht werden. Oder gefoltert. Sie wollten Zamara, und sie mussten erst Jake aus dem Weg räumen, um an sie heranzukommen.
Rosemary dachte ebenfalls an jenen Augenblick, da sie mit so vielen auf so enge Weise verbunden gewesen war, als alles, was sie ausmachte, gesehen und berührt worden war – offen gelegen hatte.
Er hob seine andere Hand und strich ihr das Haar aus der Stirn. »Ich werde nicht sagen, dass ich dich falsch eingeschätzt habe, denn wir wissen beide, dass das nicht der Fall war. Aber… ich wusste jedenfalls nicht alles.«
In ihr ging irgendetwas entzwei, brach ein Widerstand.
»Ich – kann das nicht tun.«
Er blinzelte. »Was?«
»Ich kann es nicht tun. Ich kann es nicht. Ich kann dir das nicht antun, nicht jetzt. Verdammt, lass uns verschwinden, einfach – «
Sie ließ seine Hand los, fuhr herum und floh den Weg zurück, den sie gekommen waren. Eine Sekunde später folgte er ihr und packte sie am Arm. »Rosemary, was ist los, was – «
»Lass mich los! Wir müssen zurück!« Mit antrainierter Leichtigkeit schüttelte sie ihn ab und rannte weiter, als glaubte ein Teil von ihr tatsächlich, sie könnte davonlaufen vor der einzigen Wahl, die ihr blieb – vor ihrem Verlangen, dem Sirenengesang des Sonnentropfens, mit dem der Schmerz heftiger wurde.
Er packte sie abermals, verwirrt, besorgt und wütend. »Verdammt, was ist los?«
Sie wirbelte herum und schlug nach ihm. Dass sie ihn nicht traf, war der beste Beweis dafür, wie furchtbar der Entzug ihr zusetzte.
»Begreifst du denn nicht? Ich wollte dich an sie ausliefern! «
»Du -«
Sie kannte diesen Ausdruck, den sie auf den Gesichtern all jener gefunden hatte, die sie hintergangen hatte. Sie hatte ihn Dutzende Male gesehen, aber nie zuvor hatte er sie erschüttert. Ihn, einmal mehr, auf Jakes Gesicht zu entdecken, schmetterte sie überraschenderweise regelrecht nieder.
»Sie haben mich erwischt«, sagte sie, und zu ihrer Schande war ihre Stimme rau vor Schmerzen. »Sie haben mich abhängig gemacht von diesem Zeug, das sie mir auf den Körper schmierten…« Ihre Hände umfassten ihre Arme und drückten fest zu, sie rang darum, das Zittern in den Griff zu bekommen. »Sie wollen Zamara. Sie sagten, sie würden mir mehr Stoff geben, wenn ich… aber das konnte ich dir nicht antun. Ich konnte es nicht. Ich – «
Jakes Arme schlangen sich um sie, und seine Umarmung erschreckte sie, ließ sie erstarren. In einem Teil ihres Denkens, der nicht vor Agonie schrie, registrierte sie, dass seine Arme überraschend stark waren. »Lass mich rein, ich bitte dich«, flüsterte er ihr ins Ohr.
Sie nickte stumm.
Hilf mir Jake! Ich möchte nicht mehr so sein!
Ich werde dir helfen, Rosemary. Ich verspreche es dir. Du musst da nicht alleine durch.
Sie spürte, wie er – wie sie – durch ihre Gedanken rasten, alle ihre Pläne offen legten, ihren Schmerz, ihr Schamgefühl, jeden unfreundlichen Gedanken, jede selbstsüchtige Anwandlung, jeden Augenblick, da sie verletzlich und schutzlos den Tal’darim und ihrem verdammten Sonnentropfen und dem ehrfürchtigen mentalen Flüstern über ihren Gönner ausgeliefert war. Ihre Knie gaben nach, als sie von einer neuerlichen Schmerzwoge getroffen wurde.
Sie verdrehte die Augen. Er fing sie auf, als sie fiel. Vage spürte sie, wie er sie hochhob, ihren Kopf an seine Schulter geschmiegt, und dann senkte sich endlich gnädige Schwärze auf sie herab.
KAPITEL FÜNFZEHN
In seinem Privatquartier – ein Luxus an Bord des Schlachtkreuzers – schloss Devon Starke die Augen und klärte seinen Geist. Es war
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