Schattenjagd
Nur deshalb hat sie mich im Krankenhaus treffen wollen, und deshalb hat sie auch zugelassen, dass Perry sie einfängt. Deshalb sitzt sie auch noch immer hier, statt zu fliehen. Nicht wahr?
Das Blau in Perrys Augen war unergründlich, und das Weiß wurde zusehends von indigoblauen Linien wie von Venen verdüstert. Seine bleichen Finger klammerten sich um das Glas. „Leg die Waffe weg, Kismet.“
Solange ich es verhindern kann, wirst du niemanden in diesen Raum im Monde Nuit schleppen. Für heute habe ich genug vergewaltigte Frauen gesehen.
Denn dieses Zimmer im Monde kannte ich nur zu gut … und wusste, was dort vor sich ging.
Ich hatte es selbst erlebt. Und ich war Zeuge der Folgen geworden.
Mein Daumen hob sich und spannte den Abzug. In der plötzlichen Stille, die sich über die Lagerhalle gesenkt hatte, schien das Einrasten der Neun-Millimeter unglaublich laut. „Raus hier.“ Mir saß ein so dicker Kloß im Hals, dass ich Mühe hatte, die Worte herauszubringen. „Raus aus meinem Haus. Verschwinde!“
„Ich verliere allmählich die Geduld mit dir, Julian. Oder sollte ich dich besser Judith nennen? War das nicht der N …“
Wie vom Donner gerührt stand ich da. Woher wusste er das? Woher um alles in der Welt konnte er das wissen?
Ich drückte ab.
Saul schrie auf, ein abgehackter Laut der Überraschung wie von einer hustenden Raubkatze. Wie ein Stein fiel Perry zu Boden. Blut schoss aus der Wunde, Unmengen an dickem schwarzem Blut – eine Höllenbrut in den Kopf zu schießen gibt eine Riesensauerei.
Es reicht. Meine Hände zitterten, und ich war kurz vorm Hyperventilieren. Nie mehr wieder.
Nie wieder. Keine Vergewaltigungen mehr, kein Herumgepfusche in meinem Kopf mehr, nichts mehr von alldem gottverfluchten Scheiß. Nie wieder! Ich konnte es verdammt noch mal nicht mehr ertragen. Und wenn ich Perry dafür umbringen, ein ganzes Haus voll Sorrow und obendrauf einen Großen Alten niedermetzeln musste, würde ich es tun.
So beschissen einfach war das.
Meine Hand sackte nach unten, und meine Narbe fing an zu brennen. Fraß sich durch die Haut auf den Knochen zu. Ich blickte auf Belisa hinab, die den Kopf gesenkt hatte. Unter der blauen Seide bebte sie regelrecht.
Keine Angst, wollte ich sagen. Ich hob’s in Ordnung gebracht. Ich habe ihm ein Ende gesetzt. Er wird dir nie wieder was tun.
Doch dann meldete sich die kleine Stimme der Vernunft. Ich hatte es mit einer Sorrow zu tun, noch dazu der einen, die meinen Lehrer ermordet hatte. Warum zum Teufel beschützte ich sie?
Weil sie immer noch eine Frau ist. Und keine Frau hat es verdient, von Perry gequält zu werden, verflucht noch mal. Oder von einer ganzen Meute Höllenbrut vergewaltigt zu werden.
„Saul.“ Dann versagte meine Stimme, als meine Kehle sich selbst den Triumphschrei über den Tod eines Feindes versagte. „Lass doch schon mal den Wagen an.“
„Jill …“
Herrgott, Saul, ich bin hier nicht sicher. Ich glaube, ich hab gerade eine Riesendummheit begangen. „Mach’s einfach.“
Die Couch quietschte, als er aufstand. Im nächsten Moment war er fort. Während ich von der Sorrow wegtrat, hörte ich schon, wie die Haustür zuknallte. Belisa kauerte noch immer in ihrem Sessel, und das lange Haar bedeckte ihr Gesicht. In der Luft lag der Gestank von verwesendem Blut, das in einem Pistolenlauf brutzelte. Noch immer zitterten meine Hände. Direkt in den Kopf. Du hast ihm direkt in den Kopf geschossen, hoffentlich hat das gereicht. Bete, dass es genug war.
Auch dieser andere Gedanke spukte mir immer und immer wieder im Hirn herum, wie eine gesprungene Schallplatte. Nie wieder. Nie wieder soll das einer Frau geschehen. Nie mehr wieder.
„Belisa?“ Ich klang noch immer nicht wie ich selbst. Was habe ich nur getan? „Melisande?“
Ihre Schultern schlotterten. Und, Gott steh mir bei, mein Griff um die Pistole verstärkte sich aufs Neue. Mit Gewalt musste ich mich zurückhalten, sie nicht auch noch zu erschießen.
„Verflucht noch mal, steh auf! Wir müssen los. Immerhin haben wir hier eine Welt zu retten, du chaldäisches Miststück.“
Dann schnellte ihr Kopf hoch, sie sah mir direkt in die Augen, und mir wurde klar, dass sie lachte. Tränen rannen ihr über die Wangen, und sie lächelte, grinste diebisch übers ganze Gesicht, als amüsiere sie sich köstlich. Dann schoss ihre Hand nach vorn, eine Glasampulle zerbrach und etwas, das eigenartig süßlich roch, lief heraus. Mein Körper sackte in sich zusammen und fiel nur deshalb
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