Schattenjagd
Schalter in meinem Kopf erzählen, wie ich aus mir selbst heraustreten konnte, um ganz ruhig und kalt zu werden, um zu morden. Wie ich elf Männer getötet hatte, die keine Chance gegen mich gehabt hatten, weil sie nur menschlich waren und ich eine Jägerin. Und nicht nur das, ich hatte auch den Vorteil meines Deals mit Perry rücksichtslos ausgenutzt – und zwar nicht nur, um die nötigen Informationen aus den Kerlen rauszubekommen. Nein, sondern auch, um … wozu eigentlich? Ich hätte sie am Leben lassen können, nachdem ich hatte, was ich wissen wollte. Womöglich verkrüppelt, aber doch am Leben.
Das hätte ich tun können. Aber das hatte ich nicht. Stattdessen hatte ich es ihnen heimgezahlt. Hatte meine eigene Rechnung beglichen.
Ich hatte Gott gespielt.
„Nein“, stimmte er mir zu. „Das bist du nicht.“
Stille. Er verstärkte seinen Griff und hielt mich noch fester.
„Aber.“ Er liebkoste mein Haar. „Du bist ein guter Mensch, Jillian. Nicht nett, aber gut.“
„Ich habe sie getötet.“ Die Worte schmeckten wie Staub in meinem Mund.
„Schon.“ Neutrale Zustimmung.
„Ich habe sie wegen jemand anderem getötet, wegen dem, was jemand anders mir angetan hat.“ Und noch einmal fuhr ein Schlottern durch meinen geschundenen Leib. Saul hielt mich. „Verlass mich nicht“, wisperte ich, so leise, dass ich mir nicht sicher war, ob er es hören konnte – trotz der ausgeprägten Sinne eines Werwesens.
Er seufzte so heftig, dass ich es in meinem eigenen Brustkorb spüren konnte. „Ich bleibe bei dir, Kätzchen. Darauf kannst du dich verlassen.“
Ein Ruck der Erleichterung -fuhr mir durchs Herz, so gewaltig und plötzlich, dass es auch ein Infarkt hätte sein können. „Saul …“
„Ich will dich meinen Leuten vorstellen“, sagte er langsam und deutlich, als spräche er zu jemandem, der etwas schwer von Begriff war. „Je schneller wir diese Sache abhaken, desto schneller können wir es offiziell machen. In den Hafen der Ehe einlaufen. Unter dem Mond. Eine Zeremonie mit allem, was dazugehört, und einem gigantischen Festmahl. Willst du etwa einen Rückzieher machen?“
„Nein. Nein!“ Ich schüttelte den Kopf und drückte mein Kinn an sein Hemd. „Guter Gott, nein! Es ist nur … ich bin einfach kein netter Mensch, Saul. Ehrlich nicht.“
„Teufel, Kätzchen! Das war mir von Anfang an klar. Außerdem gehört das zu deinem Charme. Immerhin bist du eine Jägerin. Liebenswürdigkeit wäre eine Schwäche, oder etwa nicht?“
Er schien sich so sicher.
Ist Erbarmen eine Schwäche, Saul? Macht mich diese Art zu töten nicht schlimmer als die Dinge, die ich jage?
„Richtig?“, hakte er noch einmal nach und gab mir sachte mit der Hüfte einen Stoß.
Ich wünschte, ich wäre mir da so sicher, wie du dich anhörst, Schmusekater. Ich schluckte. „Richtig. Ganz genau!“
„Dann lass uns jetzt also in diesem Drecksloch vorbeischauen, damit wir endlich aus dieser Stadt rauskommen. Okay?“
Ich setzte einen entschlossenen Blick auf, drückte die Brust raus und die Schultern zurück, bevor ich mich zärtlich von ihm löste. Er ließ mich los, und ich legte die Finger auf den Peitschengriff. „Okay!“
Allerdings hörte ich mich mehr wie ein verschüchterter Teenager an als wie eine Jägerin. Aber er sagte nichts dazu, sondern griff sich einfach nur den Seesack mit den übrigen Waffen und der Munition und deutete auf den Eingang. „Dann mal los.“
Oh, Saul. Schön, dass es dich gibt.
27
Im Monde waren die Vorbereitungen für die Nacht in vollem Gange. Draußen fiel das letzte Wintersonnenlicht des Tages fahl auf die Stadt, und nicht aus den Bergen, sondern vom Fluss her wehte heute ein kalter Wind, angefüllt mit dem Gestank nach Chemikalien.
Am Eingang stand der Muskelprotz der Tagesschicht, ein Neuer. Er nickte mir nur zu und ließ mich rein. Das gab mir zu denken – oder aber ich wirkte, obwohl ich so fertig und mager aussah, wie jemand, mit dem man sich besser nicht anlegte.
Riverson, der wie immer hinter der Bar stand, riss die blinden Augen auf. Als er hinter sich griff, um den Wodka vorzuholen, fingen die Talismane in meinem Haar an zu tanzen und zu klirren. Die Luft im Raum wurde heiß und angespannt. Die wenigen Höllenbrut-Typen, die schon vor Anbruch der Dunkelheit aus ihren Löchern hervorgekrochen waren, verstummten urplötzlich. Und einige Trader, die an einem Tisch nahe der Tanzfläche saßen, blickten hoch, aufgeschreckt von dieser neuen wilden
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