Schattenjagd
verbargen.
Die Werwesen sagten wie immer gar nichts zu der Angelegenheit. Abgesehen von Theron, der in der Lagerhalle vorbeikam und sich neben die Couch setzte – der einzige Platz, an dem ich es aushalten konnte zu schlafen. Immer wieder starrte ich auf den Sessel, in dem Belisa gesessen hatte. Während ich Saul lauschte, der überall im Haus aufräumte und leckere kleine Snacks zubereitete, die zu essen ich mich zwang, fielen mir jedes Mal die Augen zu.
Für gewöhnlich wachte ich wenig später schreiend wieder auf. Nach so einer Sache sind Albträume ganz normal – und besser das, als aufzuwachen und festzustellen, dass alles real war. Wenn man sich lange genug mit posttraumatischem Stress wegen all dem Spaß mit der Schattenseite herumgeplagt hat, dann sieht man das ziemlich schnell ein.
Lange Zeit sah mich Theron nur prüfend an und ließ die dunklen Augen über mein Gesicht wandern. Er war geschäftlich hier, nicht wegen eines Freundschaftsbesuchs, also verkniff er sich die üblichen Kabbeleien mit Saul. Stattdessen starrte er mich lediglich an. Saul hatte mich in eine Wolldecke gewickelt, mich bis zum Kinn zugedeckt und einige Zeit damit zugebracht, neue Amulette in mein Haar zu flechten. Ohne den Rubin fühlte sich mein Hals merkwürdig nackt an, und Michails Ring war vermutlich auf alle Zeit verloren.
Die Sorrow haben eine Abneigung gegen heilige Gegenstände. Alles, was mit Liebe gesegnet ist, ist ihnen ein Dorn im Auge. Der Rubin, eine Seelenverbindung zwischen mir und meinem Lehrer, war ihnen bestimmt ein doppeltes Gräuel.
„Du hattest nicht vorgehabt, die Werleute als Verstärkung anzufordern“, sagte Theron schließlich, die Hände lässig zu beiden Seiten baumelnd, während er auf dem Boden hockte und sich augenscheinlich wohlfühlte. „Stimmt’s oder hab ich recht?“
Ich blinzelte. Dann zuckte ich unter der Decke mit den Schultern. „Sorrow“, krächzte ich. „Gefährlich.“
Er winkte das entschieden und knapp ab. „Du brauchst ’ne Auszeit, um deinen Scheißschädel wieder klarzukriegen. Das war echt eine verflucht dumme Entscheidung, Jägerin. Es gibt einen Grund, dass wir uns mit euch verbündet haben, hörst du?“
„Ich wusste nicht, womit ich es zu tun hatte.“ Selbst in meinen eigenen Ohren hörte ich mich erschöpft an. Und voller Schmerz.
„Als Saul bei uns aufkreuzte und Fragen über Wendigos stellte, da wurden wir hellhörig. Wir hätten ihn viel schneller einfangen können, wenn du dich mit uns abgesprochen hättest.“ Er seufzte und beäugte mich nachdenklich, bevor er zum Punkt kam. „Michail hätte dir den Arsch versohlt für diesen Alleingang.“
Michail. Ich hatte ihn im Stich gelassen, seine Mörderin hatte mich ausgetrickst und war davongekommen. Schon wieder.
Theron rutschte ein Stückchen, als mache er sich zum Aufstehen bereit. „Wir werden dafür sorgen, dass es sich herumspricht, Jill. Wohin dieses Dreckstück auch geht, früher oder später wird sie einem Wer über den Weg laufen. Sie ist offiziell zur Jagd freigegeben.“
„Aber …“, wollte ich widersprechen. Sorrow sind gefährlich, und Werwesen, die sich mit ihnen anlegen, sterben nicht selten.
„Kein verfluchtes Aber] Wir werden sie in nächster Zeit bei dir abliefern, oder sie kommt von selber zurück, weil sie wieder Spielchen mit dir spielen will, und dann werden wir sie wie ein Schwein schlachten. Hör auf, alles auf eigene Faust machen zu wollen, Jill. Das schadet der Sicherheit der Bürger von Santa Luz nur.“ Jetzt wurde sein Grinsen breiter. „Abgesehen davon ist dein Arsch viel süßer als der von Michail. Und es wäre echt ein Jammer, wenn ich erst wieder eine neue Jägerin anbaggern müsste.“
„Hey, das hab ich gehört“, drang Sauls Stimme aus der Küche herüber. „Raus mit dir, Theron. Geh und fang dir ein paar Häschen.“
„Du hast gut reden, Dustcircle. Aber ich wollte eh los.“ Theron erhob sich mit der lässigen Anmut der Werwesen. Dann beugte er sich noch einmal vor, berührte meine Stirn und strich mir die Haare zurück. Leise fügte er hinzu: „Friedvolle Träume, Jägerin. Wir bringen dir demnächst einen Kopf.“
Dann war er verschwunden, und ich rollte mich auf der Couch zusammen, schloss die Augen und weinte. Saul kam aus der Küche und hob mich hoch, hielt mich im Arm. Und schließlich landeten wir beide unter der Decke auf dem Boden, wo ich schluchzte, während er mir tröstenden Nonsens ins Ohr raunte. So lange, bis ich abermals einschlief,
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