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Schattenjagd

Schattenjagd

Titel: Schattenjagd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lilith Saintcrow
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aufwachte, hielt Saul mich so fest in seinen muskulösen Armen, dass ich fast keine Luft mehr bekam. Sein Haar lag mir im Gesicht, und in meinem Ohr ertönte ein gottloser Lärm. Goldenes Spätnachmittagslicht fiel in breiten Strahlen durch die Fensterläden, und wieder plärrte das grauenhafte Geräusch. Eine der Besonderheiten, in einer Lagerhalle zu wohnen: Die Akustik spielt völlig verrückt. Das bedeutet, dass ich jeden schleichenden Tritt hören kann, jedes Insekt an der Wand … es bedeutet aber auch, dass das Klingeln eines Telefons sich in etwas verwandelt, das den Alarmsirenen eines Bombenangriffs ähnelt. Vor allem, wenn ich müde bin.
    Saul bewegte sich im Schlaf. Ich schob seinen Arm zur Seite und streckte mich gähnend, dann tastete ich nach dem Telefon. Sauls Finger glitten über meine Rippen, waren warm und geschmeidig trotz ihrer Kraft. Schließlich schaffte ich es, mir das klingelnde Ungetüm zu angeln, und drückte auf die Sprechtaste. „Was?!“ Ich hoffe ehrlich, es ist was Wichtiges.
    Das Lagerhaus in der Sarvedo Street gehörte mir, ein letztes Geschenk von Michail. Mich hatte einer der besten Jäger ausgebildet, der sich je in die Schlacht gewagt hatte, und er hatte mir dieses Gebäude hinterlassen. Groß genug für ein voll ausgestattetes Fitnessstudio, ein Meditationszimmer, eine Doppelküche, in der man Gäste bewirten und sich diverse Vorräte zusammenpanschen konnte, und ein hübsch großes Schlafzimmer mit genug Platz rings um das Bett, sodass nichts und niemand sich unbemerkt an mich ranschleichen würde. Und seit Saul eingezogen war, sah es auch viel besser aus. Er hatte ein echtes Talent dafür, in Secondhandläden Schmuckstücke und edle Schnäppchen aufzustöbern.
    Was soll ich dazu sagen? Werwesen sind nun mal häuslich. Er kümmert sich sogar um den Abwasch.
    Das Telefon knisterte mir ins Ohr. „Jill? Hier ist Monty. Wach auf.“
    Kaltes Adrenalin schoss mir durch alle Adern. Sauls Hand glitt von mir ab, und die grünen Baumwollbezüge raschelten, als ich mich aufsetzte. „Ich bin voll da. Was gibt’s?“
    „Noch eine …“ Bisher ist dieses Gespräch erschreckend vertraut, Monty. Wie oft hatten wir diesen kleinen Plausch eigentlich schon?
    „Noch eine tote Hure, der Eingeweide und Augen fehlen“, berichtete er.
    Mein Hirn schaltete in den Turbogang. „Wo? Und wo ist die Leiche?“
    „Der Tatort liegt in der Holmer Street, Ecke Fünfzehnte. Recero Park. Sie warten auf dich, aber es wird nicht lange dauern, bis die Presse davon Wind bek –“
    „Recero? In zwanzig Minuten bin ich da. Rührt nichts an. Ich will, dass ihr nicht mal ein Steinchen umdreht, auch wenn die Presse eintrudeln sollte. Schlagt ein Zelt über der Leiche auf und lasst alles, wie es ist. Okay?“
    „Verstanden.“ Aber noch legte Monty nicht auf. „Jill, wenn du schon irgendwas weißt …“
    „Wer hat sie gefunden?“ Monty, ich weiß noch gar nichts, und selbst wenn, dann würde ich es dir nicht sagen, verflucht. Du willst es nämlich überhaupt nicht wissen.
    „Ein Jogger. Sie halten ihn am Tatort fest. Die Ärzte kümmern sich um ihn – er steht unter Schock.“
    „Bin schon unterwegs.“ Ich beendete das Gespräch, hüpfte aus dem Bett und rannte mit mörderischem Tempo ins Badezimmer. Meine Füße fegten förmlich über die Dielen.
    „Jill?“ Aus Sauls Stimme war jede Spur von Müdigkeit verschwunden.
    „Noch ein Mord“, rief ich ihm über die Schulter zu. „Schnapp dir deinen Mantel.“
    Beim ersten Blick auf die Leiche wurde mir speiübel. Und es gehört schon was dazu, meinen Magen zu verstimmen. Ich stand am Rand des brüchigen Gehsteigs und betrachtete nachdenklich den leicht abfallenden Grasstreifen, der die äußere Grenze des Recero Park beschrieb. Er war ungefähr zwei Meter breit, dahinter ragte eine Wand aus Bäumen auf. Die Stämme waren mächtig, und dazwischen drängten sich Gestrüpp und Büsche, als stünde der Wald kurz davor zu platzen. Wenn nicht gerade Winteranfang gewesen wäre, hätte er reichlich Schatten gespendet. Mein Atem hing in dunstigen Schlieren vor meinem Gesicht.
    Diesmal lag das Opfer auf dem Rücken, ausgebreitet im Schutz einer gewaltigen Eiche, gleich neben einem der Trimm-dich-Pfad. Der Brustkorb war aufgebrochen, das Gesicht zerfleischt und in der leeren Gelenkpfanne des teils entblößten Schädels hatten sich trotz der Kälte bereits die Fliegen eingenistet. Es war nicht mal mehr genug Haar übrig, um die Tote als Frau erkennen zu können.

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