Schattenjagd
dem verglasten Tisch herum.
„Ich vermisse dich.“ Sein Lächeln war verschwunden. Er griff nach seinem Bier und nahm einen großzügigen Schluck, wobei sein Kehlkopf auf- und niederhüpfte. Dann stellte er die Flasche ab und leckte sich über die Lippen. „Ich meine, ich vermisse es, mit dir was zu unternehmen. Wir waren schon seit Ewigkeiten nicht mehr im Kino.“
Wir verbringen den lieben ‚langen Tag miteinander, jeden! Aber es stimmt schon, was Erholung angeht, sind wir in letzter Zeit ein klein wenig zu kurz gekommen. „Ich vermisse dich auch. Was läuft denn im Moment?“
„Wahrscheinlich nichts Berauschendes. Aber darum geht’s auch gar nicht. Du musst mal Pause machen, Kiss.“
Ich verzog das Gesicht. „Erzähl mir was Neues. Aber du hast recht, wir sollten uns mehr Zeit für uns gö –“
„Ich will, dass du aufhörst.“
Perplex ließ ich die Mappe auf den Tisch fallen, wo sie zuschlug, und starrte ihn an. „Was?“
Jetzt war er an der Reihe, eine Grimasse zu schneiden. „Nicht mit dem Jagen, Kätzchen. Dafür kenne ich dich zu gut. Ich will, dass du mit mir in den Urlaub fährst. So richtig in den Urlaub, raus aus deinem Revier. Irgendwohin, wo du nicht ständig auf der Hut sein musst.“
Hältst du das hier etwa für einen stinknormalen Job, bei dem mich nach dem Urlaub ein paar Stapel Papier und ein vollgequatschter Anrufbeantworter erwarten? Was sich bei mir auftürmt, solange ich weg bin, sind Leichen und Berge an Arbeit, die ich wieder aufholen muss. Himmel, Saul, was denkst du dir eigentlich? „Wenn in der Zeit jemand für mich einspring –“
„Leon und Andy könnten beide helfen. Beide haben Lehrlinge, Herrgott noch mal. Anja würde mit Freude einige der Werwesen bitten, bei den Patrouillen einzuspringen – das wäre für sie ein Spaß. Und dann wäre da ja auch noch die Wer-Gemeinschaft in deiner eigenen Stadt. Ich will hier raus.“ Er nickte entschlossen, als wäre er nun fertig mit seiner Rede. Doch dann fuhr er fort. „Zur Abwechslung will ich mal deine ganze Aufmerksamkeit für mich.“
Wer-Eifersucht? Oder steckte mehr dahinter? Ich betrachtete mein rechtes Handgelenk. Seit ich die Energie durch sie bezogen hatte, fühlte sich die abgedeckte Narbe wieder heiß und geschwollen an. „Geht es hier vielleicht …“
„Nein, es geht nicht um diesen gottverfluchten Mistkerl und sein beschissenes Monde. Ich will schlicht und ergreifend, dass du mal Urlaub machst. Mit mir.“ Er blickte auf die Tischplatte, während seine langen, ausdruckskräftigen Finger mit der Bierflasche spielten. Sie hatte auf dem Tisch einen Rand hinterlassen. Er drehte sie langsam, verschmierte den Abdruck, zögerte, mit der Sprache herauszurücken. „Ich will dich meinen Leuten vorstellen.“
Heiliger Bimbam! Mein Herz machte einen Satz, als hätte sich urplötzlich die Schwerkraft aufgelöst. „Du willst, dass ich … deine Leute treffe.“ Himmel, das hört sich an, als hätte es dir die Sprache verschlagen, Jill. – Ich fühle mich, als hätte es mir die Sprache verschlagen.
Die Talismane in seinem Haar bewegten sich sacht, als er den Kopf schief legte und mir einen forschenden Blick zuwarf. „Das habe ich eben gesagt, ganz genau.“
Oh, Gott. Das waren vielleicht Neuigkeiten. Große Neuigkeiten aus dem Mund eines Wers. Ich griff mir meinen Martini und leerte ihn zur Hälfte. Er brannte wie Feuer. „Klar doch.“ Ich bemühte mich, gelassen zu klingen. „Ich will mir diesen Mordfall noch genauer ansehen. Aber ich rufe Andy und Leon morgen an. Zufrieden?“
Sein Lächeln war eine prompte Belohnung. „Sicher?“
Als wüsste ich nicht das Geringste über Werwesen. Ich holte tief Luft. „Es wäre mir eine Ehre, deine Leute kennenzulernen, Baby. Aber es sollte besser niemand auf die Idee kommen, mich zu beißen.“
„Ach, komm schon. Ich hab immer gedacht, das gefällt dir.“ Jetzt strahlte er förmlich, als er sich in seiner Bank gegen die Lehne sinken ließ und sein Mantel über das Plastik quietschte. Unter dem Tisch schob ich meinen Stiefel zu ihm rüber und berührte seinen. Und hielt den Atem an, als seine Augen sich leicht schlossen. Genau wie die einer großen schläfrigen Katze.
„Nur bei dir, Katerchen. Nur bei dir.“ Dann öffnete ich wieder die Aktenmappe, guckte darauf und kippte den Rest meines Drinks in einem Zug hinunter. Hoffentlich würde Chas bald das Essen bringen.
Auf einmal konnte ich es nicht erwarten, nach Hause zu kommen.
6
Als ich
Weitere Kostenlose Bücher