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Schattenjagd

Schattenjagd

Titel: Schattenjagd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lilith Saintcrow
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Eine Zeit lang stand ich einfach nur da und ließ es auf mich wirken.
    Zwischen den aufgebrochenen Überresten ihres Brustkorbs war nichts mehr, genauso wenig in ihrem Unterleib. Ich sah die klaffenden Furchen, wo etwas die Knochenhaut, die über den Lendenwirbeln lag, aufgerissen und durchbohrt hatte. Inmitten der zertrümmerten Rippenbögen hingen Reste von dem, was einmal ihr Zwerchfell gewesen sein musste. Ihre Arme waren wie die des anderen Mädchens furchtbar zerschunden. Die Beine waren weitgehend verschont, aber sie sahen merkwürdig platt aus, als hätte man die Knochen darin zermalmt.
    Der Oberschenkelknochen ist ein kleines Wunderwerk, er hält bei jedem Schritt höllisch viel Druck auf jedem einzelnen Quadratzentimeter aus, beim Rennen sogar noch mehr. Diesen Knochen auf eine Weise zu brechen, dass schmale Splitter das Gewebe durchdringen, ist … na ja, sagen wir, es gehört einiges an Kraft dazu.
    Saul war kreidebleich geworden, was ich ihm nur zu gut nachfühlen konnte. Er blieb an der äußersten Wand des behelfsmäßigen Zelts zurück, das man aufgestellt hatte, um die Leiche vor den Augen der Presseleute zu schützen, die mittlerweile in Scharen eintrafen.
    Ich schottete mich gegen den Lärm der Menschen ab und fokussierte mein Bewusstsein so lange, bis ich den Wind in den Bäumen des Recero Park hören konnte. Die meisten Äste waren nackt. Weiter in der Mitte des Parks gab es immergrüne Nadelbäume, aber hier entlang der Ausläufer standen nur Büsche und Platanen. An der Ecke zu meiner Linken, wo die Fünfzehnte Straße abbog, stand wie ein Grenzposten eine weiße Buche. Der Gehsteig war baufällig und voller Risse. Es war eine trostlose kleine Straße. Auf der anderen Seite erstreckte sich hinter einem klapprigen Maschendrahtzaun ein heruntergekommenes Baseballfeld der Jugendliga. Die Auswechselbank zwängte sich an den Rand, und die First Base lag direkt an der Straße. Hinter dem Spielerunterstand und den Tribünen gab es einen Parkplatz – ein mit Unkraut übersätes Schotterfeld. Und die Tribünen sahen so klapprig aus, dass man meinen könnte, sie müssten beim ersten Versuch, sich daraufzusetzen, zusammenbrechen.
    Kaum Menschen, obwohl es helllichter Tag ist. Weit und breit keiner, der ihre Schreie gehört hätte. Falls sie überhaupt hier getötet wurde. – Nein, dafür gibt es zu wenig Blut.
    Raschelnd fuhr der Wind durchs Geäst.
    Sie wurde hier nur abgeladen. Aber warum? Was so viel Schaden anrichten kann, isst für gewöhnlich auf was immer ihm in die Klauen fällt. Also warum nimmt es ausgerechnet die Augen? Womit haben wir’s hier nur zu tun?
    Ich schloss mein dummes Auge, das eine, das nur die Oberfläche der Welt sah. Mein Blaues scannte starren Blicks sämtliche Realitätsebenen des Tatorts, wo ich die schwachen und immer schwächer werdenden Spuren von Gewalt wahrnahm. Selbst als körperlose Seele hatte das Mädchen diesen Ort so schnell wie möglich verlassen wollen. Ich konnte ihr das nicht verdenken. Trotzdem war es seltsam. Sie muss in einem Höllentempo verschwunden sein, um die Sphärenstränge, die sie an ihren Körper banden, dermaßen zu zerreißen. Für einen gewaltsamen Tod war das an sich nichts allzu Ungewöhnliches, aber die Art des Schadens war … merkwürdig.
    „Paula Lee“, sagte Carp, der neben mir aufgetaucht war. Ich kam zu mir und war augenblicklich wieder im Trubel der Leute um mich herum. „Ich meine die Stiefel da.“
    Sie trug tatsächlich noch immer ihre Schuhe: auffallende, pinkfarbene Lederstiefeletten mit hohen dünnen Absätzen. Gegen das Pink hoben sich Spritzer von noch feucht-klebrigem Dunkelrot ab. „Du kennst diese Stiefel?“
    „Ich hab Pico von der Sitte angerufen – hab mir gedacht, da die Letzte eine Nutte war und die hier Fick-mich-Stiefel trägt, könnte ich mir so ein bisschen Zeit sparen. Peek konnte mit der Beschreibung der Schuhe sofort was anfangen. Auch diese Tote hat man letzten Abend in der Lucado gesehen. Noch eins von Diamond Rickys Mädchen.“
    Scheiße. Mein Magen machte einen Hüpfer, beruhigte sich aber wieder. „Wie alt ist sie?“
    „Weiß nicht. Caruso schätzt, dass sie jung ist. Auf der Straße kennt man sie als Baby Jewel.“ Carp war ein wenig grün im Gesicht. Heute trug er einen dicken grauen Pulli, Jeans und ein Paar abgewetzter Nikes. Haben ihn wohl ziemlich plötzlich aus dem Bett geholt. Oh er verschlafen hat? Es ist schon beinahe vier Uhr nachmittags. Der scharfe Blick seiner blauen Augen ruhte

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