Schattenjagd
meist aufgeplatzt und entstellt waren. Die älteren Mädchen arbeiteten am nördlichen Ende, in der Schnäppchenabteilung. Diamond Rickys Gebiet lag weiter südlich, erstklassiger Grund und Boden, den ich vor Jahren noch selbst abgelaufen war, als das hier noch zu Vals Revier gezählt hatte.
Nicht, dass ich mich gern zurückerinnerte. Zwischen damals und heute lagen ein ganzes Leben und ein Trip zur Hölle. Das ist vorbei. Gott sei Dank.
Ricky wartete mit bester Ware auf, den Jüngsten und Hübschesten – Teenager, von denen jede Einzelne geschworen hätte, dass Ricky sie liebte und beschützte. Außerdem bestand der Verdacht, dass Ricky einen Begleitservice von Minderjährigen für reiche Geschäftsleute betrieb. Es fehlten nur die Beweise.
Noch.
Seine Nummer eins war ein Mädchen, das ein wenig älter war als der Rest der Truppe. Während ich den Kopf zur Seite legte, um mir die Wohnung genauer anzusehen, warf sie ihr langes braunes Haar in den Nacken, schniefte und wischte sich mit der Hand über die Nase. Ich sah eine beeindruckende HiFi-Anlage, eine weiße Ledercouch und an der Wand einen Druck von Nagel, der in den Achtzigern angesagt gewesen war. Ricky stand auf Chrom, Glas und Leder, und jedes Stück hier drin war mit dem Geld bezahlt, das er den Mädchen draußen abnahm, die sich den Arsch aufrissen, um seine Gier nach Luxus zu befriedigen. Für gewöhnlich saß er mit einem Bodyguard in seinem Cadillac und hatte ein Auge auf das, was auf der Straße vor sich ging. Aber wir hatten es geschafft, ihn zu Hause und einzig in Begleitung seiner Freundin zu erwischen.
Glück muss man haben.
Ich holte tief Luft. Dann griff ich mir einen Stuhl vom Esstisch und zerrte ihn über den makellosen weißen Teppich. Wenn man sich das alles so ansah, wäre man nie auf die Idee gekommen, dass wir uns lediglich in einem schlichten Backsteingebäude befanden, das sich zwischen heruntergekommene Apartmenthäuser voller Verzweifelter quetschte.
Der schlanke und schleimige Ricky lümmelte auf dem weißen Sofa. Er trug einen schwarzen Cowboyhut, dessen Band mit silbernen Muscheln besetzt war, dazu ein schwarzes Seidenhemd und eine Lederhose. Die Cowboystiefel mit den silbernen Spitzen hatte er auf den niedrigen Glastisch vor ihm gelegt. Ricky deutete auf den kleinen eckigen Spiegel auf dem Tisch, auf dem zwei auffällige Linien weißen Puders prangten.
Himmel. Werden sich Zuhälter denn nie ändern? Ich schüttelte den Kopf und stellte den Stuhl im exakt rechten Winkel auf den Teppich. Saul lehnte neben Carp an der Tür. Rosie war noch immer am Tatort. Carps blaue Augen ließen ihren aufmerksamen Blick über sämtliche Oberflächen wandern.
Ich stützte die verschränkten Arme auf die Stuhllehne und stand breitbeinig da. Mein unverwandter Blick ruhte auf Ricky, während seine Nummer eins sich noch einmal über die Nase fuhr, schniefte und anschließend in die Küche schlurfte.
Ricky grinste, seine Finger hingen wie zur Einladung lose über seinem Schoß. Noch einmal nickte er mit seinem Hut zu dem Puder auf dem blitzblanken Spiegel. „Bedien dich, Puta.“ Sein Grinsen wurde breiter. Wir würden ihn nicht hochnehmen, solange es nicht ungemütlich wurde. „Oder bist du da, um was dazuzuverdienen? Weißt du, ich teste meine Ware, bevor ich sie unter die Leute lasse.“
Verfluchter Hurensohn. Die Narbe auf meinem Handgelenk pochte. Tief in mir drin stieg ein Lächeln auf, das sich langsam auf meine Lippen stahl. Ich wartete nur auf den richtigen Moment, den Mund aufzumachen, als Ricky auf seiner Couch ein Stück nach rechts rutschte. Diese kleine Bewegung reichte schon, um mir zu verraten, dass ich ihn aus der Fassung brachte. Er war ein Mann, der sein Geld mit Mädchen verdiente, denen er das Gehirn gewaschen hatte, und es juckte mir in den Fingern, ihm das heimzuzahlen. Der weiblichen Spezies ein wenig Gerechtigkeit zu verschaffen, um’s mal so auszudrücken.
Ich wartete weiter, ließ mein Lächeln zu voller Blüte heranwachsen. Ricky war Puerto Ricaner, also ließ ich den Rosenkranz aus Tigerauge baumeln, zog die Schultern hoch und legte das Kinn auf meine verschränkten Unterarme. Die halbe Arbeit erledigten dabei meine Augen für mich. Ist schon merkwürdig, wie viele Kulturen seltsame Legenden über Menschen haben, die mit zwei verschiedenen Augenfarben geboren werden.
Nur, dass ich mit ganz normalen braunen Augen geboren worden bin. Das Blaue ist ein Geschenk – oder ein Fluch. Egal, Hauptsache, es erfüllt
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