Schattenjahre (German Edition)
Bescheid wusste.
„Du gehst zu Daniel Cavanagh?“, fragte Faye verblüfft, nachdem ihre Schwägerin sie eingeweiht hatte. „Ich dachte, du magst ihn nicht.“
„Ich mag ihn genauso wenig wie du Alaric Ferguson“, erwiderte Sage trocken.
Sie wechselten einen vielsagenden Blick – zwei Frauen, die einander viel besser verstanden seit der gemeinsamen Reise in die Vergangenheit. Camilla runzelte die Stirn, war aber viel zuglücklich über die erfolgreiche Operation ihrer Großmutter, um Fragen zu stellen. Nachdenklich musterte sie Scott. Sein – und Sages – Vater war vor vielen Jahren Grans Liebhaber gewesen. Wie romantisch und aufregend … Hoffentlich würden die McLarens sie möglichst bald nach Australien einladen. Sie hatte schon immer die Welt kennenlernen wollen.
Sage fuhr in einem Taxi durch London. Erst als sie ausstieg, wurde ihr bewusst, wie spät es war. Fast elf. Vielleicht lag Daniel bereits im Bett. Bei diesem Gedanken schlug ihr Herz schneller. Hör auf damit, ermahnte sie sich. Du willst dich nur entschuldigen und alles erklären – wie eine gute Freundin, nicht wie eine künftige Liebhaberin. Wenn er dich überhaupt reinlässt …
Das tat er, wenn auch sichtlich erstaunt. „Sage … Was in aller Welt …“
„Ich habe das da gelesen.“ Sie schwenkte die Zeitung vor seinem Gesicht herum. „O Daniel, es tut mir so leid. Musstest du wegen der Old Hall zurücktreten?“
„Ob ich musste?“ Zu ihrer Verblüffung begann er zu lachen, dann führte er sie ins Wohnzimmer. „Du glaubst, man hätte mich zum Rücktritt gezwungen? Nein, es war mein eigener Wunsch, Sage. Diese ganze Schreibtischarbeit, der endlose Papierkram, dem man als Leiter einer großen Firma nicht ausweichen kann – das ist nichts für mich. Ich habe schon seit einiger Zeit Verhandlungen über meinen Rücktritt geführt. Zugegeben – es fiel mir nicht leicht, die Zügel aus der Hand zu geben. Immerhin hat mein Vater dieses Unternehmen aufgebaut. Ich fühlte mich verpflichtet, in seine Fußstapfen zu treten – oder es wenigstens zu versuchen. Aber letzten Endes erkannte ich, dass er mich verstehen würde. Ich muss ich selbst sein, meinen eigenen Idealen und Ambitionen folgen.“
„Und was wirst du machen?“ Sie wusste nicht recht, ob sie ihm glauben sollte. Jedenfalls klang seine Stimme recht zuversichtlich, ganz anders als erwartet. Dieser Besuch war also überflüssig, wie so viele ihrer unbedachten Aktionen. Das Letzte, was Daniel zu brauchen schien, war ihr freundschaftliches Mitgefühl.
„Was ich immer schon machen wollte. Ich werde kleine, exklusive Wohnanlagen bauen. Finanziell bin ich durch den Verkauf meines Anteils an Cavanagh Construction an den Staat gesichert, ich muss nicht arbeiten. Aber ich möchte mein Ziel erreichen. Allerdings bin ich kein Workaholic. Neben der Arbeit soll es noch andere Dinge in meinem Leben geben. Eine Frau, eine Familie … Warum bist du hergekommen, Sage?“, fragte er unvermittelt.
Sie starrte Daniel an, öffnete den Mund und klappte ihn wieder zu. Warum war sie wirklich gekommen?
„Hast du plötzlich erkannt, wie albern es ist, Scott immer noch nachzutrauern und dein Leben zu vergeuden? Hast du gemerkt, dass du ein bisschen mehr brauchst als deinen Fantasieliebhaber?“
Das Blut stieg ihr in die Wangen. „Nein, das ist es nicht. Und damit du’s weißt …“ Plötzlich unterbrach sie sich. „Warum hast du die Old Hall gekauft? Wegen der Straße?“
„Nein – weil ich darin wohnen möchte. Deine Information war nicht ganz korrekt. Nicht Hever Homes hat die Old Hall gekauft – das war ich. Und jetzt wechsle bitte nicht mehr das Thema. Wieso bist du zu mir gekommen?“
„Nicht, weil ich mit dir schlafen will – falls du das glaubst“, erwiderte sie mit gefährlich sanfter Stimme.
„Nicht?“ forderte er sie heraus und ging zu ihr. Aber er blieb vor ihr stehen, ohne sie anzurühren, und fragte im Konversationston: „Warum zitterst du so, Sage?“
„Weil – weil ich wütend bin“, stammelte sie.
„Du bist also wütend.“ Aufmerksam beobachtete er sie. „Damit verbringst du einen Großteil deines Lebens, was? Und du bist ganz sicher, dass du auch in diesem Augenblick Wut empfindest?“
„Natürlich. Und da ich auf diesem Gebiet mein Leben lang Erfahrungen gesammelt habe – wie du ja inzwischen selbst bemerkt hast –, werde ich mich wohl kaum irren.“
„Das ist anzunehmen.“ Er stand so dicht vor ihr, dass sie seinen warmen Atem am Haaransatz
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