Schattenjahre (German Edition)
es angedeutet hatte? Unfähig, sinnliche Freuden mit ihm zu teilen? Dieser niederschmetternde Gedanke krampfte ihr das Herz zusammen, und sie war leichenblass, als sie das Cabrio erreichten.
Zufrieden registrierte Kit, wie sich sein Schweigen auswirkte. Das milderte seinen Unmut ein wenig. Lässig strich er über Lizzies bleiche Wange. „Wann sehe ich dich wieder, Schätzchen?“
Dankbar lächelte sie ihn an. Er gab ihr eine zweite Chance, also musste er sie lieben. „Ich …“ „Heute Abend“, drängte er. „Wann hörst du zu arbeiten auf? Ich hole dich ab …“
Lizzie schüttelte den Kopf. „Das wird sehr spät.“
„Wann? Morgen?“
Am nächsten Tag hatte sie frei. Ihr Herz schlug so rasend, dass sie nicht sprechen und nur nicken konnte.
„Gut. Hör mal – statt dich abzuholen, warte ich lieber im Sommerhäuschen auf dich. Dann wahren wir unser Geheimnis. Es geht ja auch nur uns beide was an.“
Wieder nickte sie wortlos. Wie sollte sie die endlosen Stunden bis zum Wiedersehen überstehen? Eins nahm sie sich jedenfalls vor: Wenn er sie wieder umarmte und küsste und beteuerte, wie sehr er sie begehre, würde sie sich wie eine Frau verhalten, nicht wie ein Kind. Sie würde sich sagen, wie glücklich sie sein musste, einen solchen Mann kennengelernt zu haben, wie kostbar die kurze Zeit war, die sie zusammen verbringen konnten – und dass der Krieg die Zukunft gefährdete, sie jederzeit von Kit zu trennen drohte, für ein paar Wochen oder für immer. Ein Frösteln durchfuhr ihren Körper.
„Morgen um elf“, erinnerte er sie beim Abschied.
„Morgen“, wisperte sie. Tränen verschleierten ihren Blick. Wie heiß sie ihn liebte … Sie wollte sich in seine Arme werfen, geküsst – und geliebt werden, wie sie sich zitternd eingestand. Oh, warum nur hatte sie seine intimen Liebkosungen zurückgewiesen?
Während sie ihn davonfahren sah, erschauerte sie wieder, fühlte sich einsamer denn je, und wieder einmal wurde ihr bewusst, wie kostbar die Stunden waren, die sie mit Kit verbringen durfte.Im Schwesternwohnheim gab Lizzie die geliehene Kleidung zurück und wurde mit Fragen nach dem Rendezvous bestürmt. Aber sie antwortete nur ausweichend, immer noch unglücklich über ihr dummes Verhalten, mit dem sie Kit geärgert und ihr Liebesglück aufs Spiel gesetzt hatte.
„Siehst du ihn wieder?“, erkundigte sich Rosie neugierig.
Aber Lizzie zuckte nur die Achseln und war froh, weil sie sich beeilen musste, um rechtzeitig zum Dienst in der Klinik zu erscheinen, und weiteren Fragen ausweichen konnte.
Während der Abendschicht gab es immer viel zu tun. Die Patienten mussten auf die Nachtruhe vorbereitet werden und ihre Medikamente bekommen. Danach machten die Mädchen auf den Fluren sauber und erledigten diverse andere Pflichten.
Lizzie sah Edward Danvers nur kurz, während sie einer Kollegin half, die Verdunkelungstücher vor die Fenster zu hängen. Sie bemerkte seine fahlen Wangen und erriet, dass ihn starke Schmerzen peinigten. Sollte sie ihm zusätzliche Medikamente anbieten? Aber sie hatte bereits festgestellt, wie verletzlich sein Stolz war, sie sehr er es hasste, wenn seine körperlichen Leiden erwähnt wurden.
Unsicher schaute sie sich in der Abteilung um. Die diensthabende Krankenschwester, eine Frau von Ende fünfzig, kümmerte sich kaum um ihre jungen Helferinnen. Lizzie wusste, dass eine diskrete Bitte, Edwards Qualen zu lindern, sinnlos gewesen wäre. Diese Person glaubte wirklich, es täte der Seele gut, Schmerzen zu erdulden. Sie schüchterte nicht nur die jüngeren Schwestern, sondern sogar manche Ärzte ein. Die Hilfsschwestern verabscheuten sie, ahmten sie gnadenlos nach und machten sich hinter ihrem Rücken über sie lustig. „Ein altes Neutrum“, wurde sie genannt.
Ein Neutrum? Dieses Wort jagte Lizzie dumpfe Angst ein. Sie selber war doch keine solche Frau? Nein, natürlich nicht. Und warum hatte sie dann Kits Wünsche nicht erfüllt?
Zu jung und viel zu unerfahren, um die Gründe ihrer Weigerung in Tante Vis strengen Verhaltensregeln und in Kits mangelnden Gefühlen zu sehen, erkannte sie die Gefahr der zerstörerischen Saat nicht, die er in ihr Herz gestreut hatte.
Elf Uhr. Lizzie zuckte zusammen, als sie die Turmuhr schlagen hörte. Seit fünfzehn Minuten wartete sie im Sommerhäuschen auf Kit. Nervosität drehte ihr den Magen um, und ihre Gedanken flatterten hilflos in hundert verschiedene Richtungen auf einmal.
Im Wohnheim hatte sie sorgfältig jeden Quadratzentimeter
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