Schattenjahre (German Edition)
sich selbst enttäuschte. Offenbar war sie keine vollwertige Frau.
Was sie jetzt erlebte, hätte sie beglücken müssen. Stattdessen empfand sie nur Schmerzen, körperlich und seelisch. Kits keuchender Atem und die hektischen Bewegungen seines Körpers in ihrem schienen in weite Ferne zu rücken, losgelöst von ihrem Ich. Nein, so hatte sie sich die Vereinigung zweier Liebender nicht vorgestellt. Was nun geschah, wirkte auf Lizzie wie eine Zufallsbegegnung zweier Menschen, die im Grunde nichts miteinander zu tun hatten.
Der körperliche Schmerz verebbte, der seelische, der viel schlimmere Wunden schlug, dauerte an. Als Kit endlich ächzend auf sie hinabfiel, fühlte sie weder Erleichterung noch Freude – nur Kälte und wachsende Panik. Sie hatte seine Erwartungen nicht erfüllt, also war sie keine richtige Frau.
In seinen Augen las sie Verachtung, ebenso in seiner Weigerung, sie anzuschauen, als er aufstand. Er kehrte ihr den Rücken, während er seine Hose schloss. „Zieh dich an, Süße. Ich muss gehen. Bevor ich wegfahre, will ich noch den alten Edward besuchen.“
„Du – du fährst schon weg?“, stammelte sie und kämpfte mit den Tränen.
„Mir bleibt nichts anderes übrig. Die Pflicht ruft.“
„Aber – ich …“ Lizzie hatte geglaubt, sie würden länger zusammen sein.
„Keine Bange, sicher bekomme ich bald wieder vierundzwanzig Stunden Urlaub“, log Kit. Eine hysterische Szene konnte er jetzt wirklich nicht gebrauchen. Nachdem sein Verlangen gestillt war, begann er bereits zu vergessen, wie heiß er Lizzie begehrt hatte. Bald würde sie nurmehr eine Erinnerung von vielen sein – ein Mädchen wie all die anderen. Im Krieg stand einem Mann wie ihm, der ständig dem Tod ins Auge blickte, doch wohl das Recht zu, sich zu amüsieren, wo immer er eine Gelegenheit fand.
Schweigend gingen sie zu der Stelle, wo Kit das Auto geparkt hatte. Lizzie wusste, dass sie sich jetzt beherrschen musste und nicht in Tränen ausbrechen durfte. Die Männer hassten es, weinende Frauen zu sehen. Außerdem wollte sie stark sein und ihn mit einem Lächeln verabschieden, damit er schöne Erinnerungen an sie mitnahm.
Am liebsten hätte sie ihn angefleht, Edward nicht zu besuchen und den restlichen Urlaub mit ihr zu verbringen. Aber sie erkannte, wie selbstsüchtig dieser Wunsch war. Der arme Edward führte ein so elendes Leben. Seit seiner Ankunft im Krankenhaus hatte er nur von Kit Besuch bekommen. Und es kam ihr nicht zu, Forderungen zu stellen. Immerhin hatte er versprochen, sie würden sich bei seinem nächsten Urlaub wiedersehen – es sei denn, er wurde in den Kampf geschickt.
In den Kampf … Bei diesem Gedanken erschauerte sie. Zuvor waren das einfach nur Worte gewesen, die anderen Frauen Angst machten. Jetzt spürte sie das Grauen der Gefahr am eigenen Leib. Sie wurde aufgenommen in den Kreis der Geschlechtsgenossinnen, die um das Leben der geliebten Männer bangten, zwischen Verzweiflung und Hoffnung schwankten.
Von diesem Tag an würde es keine ruhigen Nächte mehr geben. Nie wieder würde sie Kampfflugzeuge dröhnen hören, ohne kaltes Entsetzen zu empfinden. Keinen friedlichen Augenblick würde sie genießen, abgesehen von den wenigen wertvollen Stunden, die Kit mit ihr verbringen konnte. Nur wenn sie ihn in den Armen hielt, würde sie wissen, dass er in Sicherheit war. Erst nach dem Kriegsende würde sie aufatmen, wenn die gemeinsame Zukunft vor ihnen lag, viele Jahre voller Liebe. Dann wollte sie ihm zeigen, wie viel er ihr bedeutete, auch körperlich. Ihre Unfähigkeit, seine sinnlichen Gefühle so zu erwidern, wie sie es wünschte – darüber mochte sie sich jetzt nicht den Kopf zerbrechen. Das würde sich mit der Zeit ändern.
Zum ersten Mal in ihrem Leben sehnte sie sich nach einer Freundin, der sie ihre Probleme anvertrauen, die sie um Rat bitten konnte. Wenn man den anderen Mädchen im Schlafsaal zuhörte, musste man den Eindruck gewinnen, Sex war für sie nur Amüsement, die unbekümmerte Hingabe einer Frau als Gegenleistung für die Geschenke eines Liebhabers. Aber ihren Romanen hatte Lizzie entnommen, die körperliche Liebe zähle zu den größten Freuden, die zwei Menschen teilen konnten. Und sie selbst … Was stimmte nicht mit ihr? Warum hatte sie es nicht genossen?
Sie blieben neben dem Auto stehen, und Kit sagte leichthin: „Ich bringe dich besser nicht heim, Süße. Du willst sicher nicht, dass die Leute tratschen. Sonst kriegst du womöglich Ärger mit der
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