Schattenjahre (German Edition)
machen. Ich melde mich wieder, sobald ich kann. Denk in der Zwischenzeit an mich, so wie ich an Dich. In Liebe, Dein Kit.
Sie presste die Unterschrift an die Lippen, hin und her gerissen zwischen Tränen und Glück. Einerseits war sie erleichtert, weil sie endlich Nachricht von ihm erhalten hatte und weil der Brief keinerlei Groll gegen sie zum Ausdruck brachte. Andererseits bangte sie um Kits Leben.
Auf der Rückseite des Umschlags stand kein Absender. Als ihr das auffiel, runzelte sie leicht die Stirn. Sie konnte ihm also nicht antworten. Und vermutlich würde sie lange auf den nächsten Brief warten müssen. Er schien selbst noch nicht zu wissen, wohin man ihn versetzen würde.
Sorgsam faltete sie das Blatt zusammen und steckte es ins Kuvert, das sie in ihrer Handtasche verstaute. Sie würde den Brief überallhin mitnehmen. Träumerisch schloss sie die Augen und stellte sich Kits Hand vor, die diese Zeilen geschrieben hatte, seinen dunklen Kopf, über das Papier gebeugt.
„Oh, lieber Gott, bitte, beschütze ihn!“, flüsterte sie.
Noch zweimal besuchten Lizzie und Edward die blühenden Rhododendronbüsche. Er merkte, dass sie mit dem Herzen woanders war, und wollte sie fragen, ob etwas nicht stimmte, vermochte sich aber nicht dazu durchzuringen.
Seit seiner Verwundung war er überaus empfindlich, was seine äußere Erscheinung und seine zerstörte Potenz betraf. Er spürte Lizzies Mitleid. Und in manchen Nächten, wenn er nicht schlafen konnte, wünschte er sich verzweifelt, wieder ein ganzer Mann zu sein – keine leere Hülle, unfähig, in einer Frau andere Emotionen zu erregen als Mitgefühl.
Die meisten Schwestern, die im Krankenhaus arbeiteten, bestärkten ihn im Bewusstsein seiner körperlichen Unzulänglichkeiten. Nur in Lizzies Gesellschaft ließ sein Unbehagen etwas nach. Niemals betrachtete sie ihn mit jener Mischung aus Erbarmen und Verachtung, so wie die anderen.
Und nun registrierte er ihre Veränderung. Sie war geistesabwesend, verloren in einer privaten Welt. Auf den Gedanken, diesen Zustand mit dem Besuch seines Vetters in Verbindung zu bringen, kam er nicht.
Schon in der Kindheit hatte er sich nicht gut mit Kit verstanden. Edward war mit der Erkenntnis aufgewachsen, vom Schicksal weniger begünstigt zu sein. Eines Tages würde nicht er selbst, sondern der Vetter das Landgut Cottingdean erben. Trotzdem war es Edward, der das Haus liebte und Heimweh danach hatte, wenn er sich woanders aufhalten musste, seine Eltern anflehte, ihn die Ferien dort verleben zu lassen. Aber letzten Endes würde das Anwesen Kit gehören. Edwardversuchte, keinen Neid zu empfinden, und das wäre ihm vielleicht besser gelungen, hätte der Vetter dem Haus und dem Land die gleichen Gefühle entgegengebracht wie er selbst.
Seit der Regentschaft Charles’ II. befand sich Cottingdean im Besitz der Familie. Der Ahnherr – ohne Geld, Titel und Grundeigentum – hatte Charles während dessen Exil unterstützt und für ihn gekämpft. Als der König endlich den Thron bestieg, belohnte er seinen treuen Anhänger mit einem Adelstitel und der angesehenen Stellung eines königlichen Kammerjunkers. Der Ahnherr wusste, wie viel es ihn kosten würde, eine so hohe Position zu finanzieren. Statt das großzügige Angebot des Königs anzunehmen, bat er ihn um die Erlaubnis, die Witwe eines Cromwell-Anhängers heiraten zu dürfen.
Charles nahm an, es würde sich um eine Liebesheirat handeln, und gab seine Einwilligung. Wie er später erstaunt feststellte, war die Frau ziemlich unscheinbar und weit über dreißig.
Mochte sie auch unansehnlich gewesen sein – sie hatte ihrem ersten Mann immerhin fünf gesunde Töchter geschenkt. Und ihre große, wohlgeratene Schafherde weidete auf dem Land, das sie von ihren Eltern als Mitgift erhalten hatte.
Philip Danvers überlegte, eine so offenkundig fruchtbare Frau würde ihm die ersehnten Söhne gebären. Und das von ihrem ersten Mann während der Cromwell-Regierungszeit bestens instand gehaltene Weideland würde ihm mehr einbringen als ein hohler Adelstitel.
Der Witwe blieb nichts anderes übrig, als Philip ihr Jawort zu geben, nachdem der König ihr befohlen hatte, seinen Freund zu ehelichen. Sie machte sich keine Illusionen. Cottingdean stellte eine reiche Beute für einen Mann dar, der nur seine Kleider und das Schwert an seiner Seite besaß. Oh, sie wusste nur zu gut, warum sie geheiratet wurde – ganz gewiss nicht, um ihrem vitalen neuen Gemahl die Nächte zu versüßen.
Umso
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