Schattenjahre (German Edition)
Bedürfnisse, seine Befriedigung, und sie war unglücklich, weil sie nur so kurz zusammen gewesen waren.
Unwillkürlich legte sie eine Hand auf den Bauch, als sie einen leichten Wundschmerz zwischen den Schenkeln spürte. Was trieb die Männer immer wieder zu einem so heftigen Kraftakt? Und warum war das Entzücken, das sie bei Kits Küssen und Liebkosungen empfunden hatte, bei der körperlichen Vereinigung abrupt verflogen? Gerade das hätte wunderbar sein müssen, die Vervollkommnung der Liebe, die sie einander entgegenbrachten.
Woran mochte das liegen? Sie wanderte die Straße hinab, eine innere Rastlosigkeit beschleunigte ihre Schritte. Tante Vi hatte sich stets geweigert, über sexuelle Dinge zu sprechen. Den Gesprächen der anderen Mädchen entnahm Lizzie verschiedenartige, manchmal abstoßende Informationen. Aber in ihrer Naivität hatte sie immer geglaubt, die körperliche Verschmelzung zweier Liebender würde von geistigem Entzücken zu einer höheren Ebene emporgetragen und sich weit von der banalen Kopulation entfernen, die ihre Kolleginnen so anschaulich und oft sehr derb schilderten.
Nun fragte sie sich bedrückt, warum sie jene Magie, von der so viele Romane berichteten, nicht erlebt hatte – warum sie von Kit nicht in jenes Zauberreich entführt worden war, das nur den Liebespaaren gehörte. Sie sehnte sich nach ihm und wünschte, sie könnte mit ihm reden, ihm ihr Herz ausschütten.
Plötzlich fühlte sie sich sehr müde und einsam, und diese Emotionen bildeten einen krassen Kontrast zu der Freude, die ihr Kits Abschiedskuss bereitet hatte.
Niedergeschlagen, mit dunklen Schatten unter den Augen, kehrte sie ins Wohnheim zurück und sah erleichtert, dass sie den Schlafsaal für sich allein hatte. Sie wollte nicht mit den anderen Mädchen über Kit reden. Diese Liebe war etwas Besonderes, fast etwas Heiliges.
An diesem Tag hatte sie etwas getan, was sich – nach Tante Vis Regeln – kein anständiges Mädchen außerhalb der Ehe erlauben durfte. Aber sie verspürte weder Schuldgefühle noch Reue. Seit der Jugend ihrer Tante hatte sich die Welt geändert. Manchmal musste man sich mit ein paar flüchtigen schönen Stunden begnügen. Eine Aura von Leichtsinn lag in der Luft, die wilde Entschlossenheit, all die wunderbaren Dinge zu nehmen, die das Leben bot, denn man wusste nie, wann man es verlieren würde.
Nein, sie bereute keine Sekunde, die sie in Kits Armen verbracht hatte, empfand nur schmerzliche Sehnsucht nach ihm. Da er Pilot war, hatte er ihr nichts von den Gefahren seines Alltags erzählen müssen.
Sie hörte die Radionachrichten, las Zeitungen. Als intelligentes Mädchen besaß sie eine rege Fantasie. Selbst wenn sie in der Klinik nicht tagtäglich die zerstörerische Wirkung der vonMenschenhand geschaffenen Waffen auf menschliches Fleisch gesehen hätte und die Eltern nicht bei jenem Bombenangriff gestorben wären, konnte sie sich nur zu gut ausmalen, was Kit während jeder Kampfhandlung drohte.
Als sie in dieser Nacht nach Dienstschluss im Bett lag, betete sie inständig wie nie zuvor. „Bitte, lieber Gott, beschütze Kit!“ Beschwörend wisperte sie diese Worte und wusste, dass sie nur wiederholte, was Millionen anderer Frauen im ganzen Land erflehten. Nicht alle Gebete wurden erhört, und Lizzie spürte fast körperlich das Leid ihrer Geschlechtsgenossinnen, die vom Schicksal so schwer getroffen wurden. Energisch verdrängte sie diesen Gedanken. Sie musste stark und tapfer sein und lächeln, wenn sie Kit wiedersah, ihre Angst verbergen. Irgendwie würde sie einen Weg finden, um ihn nicht mehr zu enttäuschen, um ihre Befürchtung zu verheimlichen, in sexueller Hinsicht wäre irgendetwas mit ihr nicht in Ordnung – etwas, das sie daran hinderte, die körperliche Liebe ebenso zu genießen wie er.
Eine gute Woche nach dem Abschied bekam Lizzie einen Brief. Mit zitternden Fingern drehte sie das Kuvert hin und her, ehe sie es öffnete, und ihr Herz schien vor Freude zu bersten.
Obwohl die wenigen Zeilen sie enttäuschten, zwang sie sich, zu akzeptieren, dass ein Mann, der bei seiner Schwadron lebte und für das Vaterland kämpfte, keine Zeit für lange Liebesbriefe fand.
Gierig verschlang sie jedes einzelne Wort, und bald konnte sie den gesamten Text auswendig.
Ich schreibe Dir nur ganz kurz, um Dir mitzuteilen, dass Du in der nächsten Zeit nichts von mir hören wirst, Süße. Wie ich bereits angekündigt habe – es sieht so aus, als müsste ich bald im Ausland „Urlaub“
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