Schattenkampf
schon am nächsten Tag wieder anders überlegen und erneut Nolan den Vorzug geben könnte. Aber was das Entscheidende ist: Alle Beweise deuten auf die simple Tatsache hin, dass der Angeklagte Ron Nolan nach wie vor hasste.
Nach dem Gespräch mit Tara Wheatley bewaffnete er sich mit einer tödlichen Waffe - und wie Sie bestätigt bekommen haben, ist ein Schlagring eine tödliche Waffe - und fuhr in der ausdrücklichen Absicht, Ron Nolan zu verprügeln, zu dessen Haus. Hört sich das für Sie nach jemandem an, der keinen Groll mehr hegt, der seinem Feind vergeben hat, der sich nicht mehr an ihm rächen und ihm keine Schmerzen mehr zufügen will? Selbstverständlich nicht. Das ist einfach Unsinn.« Mills blieb am Fenster stehen. »Ist das genug zu diesem Punkt?«
Felice nickte. »Ich denke schon. Sie dürfen ihn nicht zu Tode reiten. Gehen Sie zum nächsten über.«
Mills begann wieder, auf und ab zu gehen, und fuhr fort: »Wenn ich mich jetzt mit der Frage des Motivs befasse, möchte ich Ihnen sagen, dass das Motiv allein nicht …«
»Nein«, sagte Felice. »Das Gewicht des motivlichen Beweismaterials wird in den Anweisungen an die Geschworenen behandelt. Damit brauchen Sie sich nicht zu befassen.«
Mit einem Nicken setzte Mills wieder an. »Die Verteidigung möchte Sie auch glauben machen, dass das zweite in gleicher Weise zwingende Motiv - dass nämlich der Angeklagte Mister Nolan daran hindern wollte, mehr Beweise zu erbringen, die ihn mit den Khalil-Morden in Verbindung
brachten - keine Rolle spielte, weil Mister Nolan solche Beweise bereits an die Behörden übergeben hatte. Dieses Argument ist abwegig.« Sie hielt inne. »Ist ›abwegig‹ okay?«
Felice überlegte kurz. »Vielleicht ein bisschen hochtrabend.«
»Und abstrus?«
»Noch hochtrabender.« Die Sekretärin verdrehte die Augen. »Wie wär’s mit einem bodenständigen Ausdruck wie ›fadenscheinig‹?«
»Irreführend.«
»Falsch.«
Mills schnippte mit den Fingern. »Das ist es. Falsch.« Sie nahm wieder ihren förmlichen Tonfall an. »Dieses Argument ist falsch, weil der Angeklagte, erstens, durchaus geglaubt haben könnte, dass Mister Nolan noch mehr Beweise hatte. Aber noch wichtiger ist: Nichts von dem, was Mister Nolan dem FBI über die Khalil-Beweise erzählt hatte, hätte gegen Mister Scholler verwendet werden können, wenn Mister Nolan tot war. Wenn Sie in diesem Prozess etwas gelernt haben, dann Folgendes: Wir müssen lebendige Zeugen beschaffen, damit sie vor Gericht aussagen. Ich würde daher sagen, der Angeklagte hatte sogar ein stärkeres Motiv, Mister Nolan zu töten, sobald klar war, dass Nolan ihn belastet hatte und als Zeuge gegen ihn aussagen wollte.
Falls der Angeklagte die Khalils getötet hatte, machte es für ihnen keinen großen Unterschied mehr, wenn er, um nicht überführt zu werden, einen weiteren Mord beging.«
»Vorsicht!«, warnte Felice. »Da wird Washburn sicher sofort dazwischengehen.«
»Ich weiß. Aber ich darf meine Argumente vorbringen, und ich möchte, dass die Geschworenen das zu hören bekommen.«
»Der Richter wird es sicher nicht zulassen.«
»Höchstwahrscheinlich nicht. Aber ich werde schnell reden und so viel wie möglich davon sagen, bevor sie mich zum Schweigen bringen.«
»Nur, damit Ihnen das klar ist.«
»Ist mir klar. Okay, dann mal weiter.« Mills zog kurz ihre Notizen zurate. »Kommen wir also zu dem, was wirklich passiert ist, was den unwiderlegten Beweisen zufolge passiert ist. Nachdem sich der Angeklagte mit einem Schlagring bewaffnet und Tara Wheatley gegenüber erklärt hatte, er werde - Zitatanfang - dem ein Ende machen - Zitatende -, fuhr er zu Mister Nolans Haus und griff ihn an. Es kam zu einer Schlägerei, bei der beide Männer verletzt wurden. Drei Tage später wurde eine Pistole mit den Fingerabdrücken des Angeklagten auf dem Bett in Mister Nolans Schlafzimmer gefunden, nicht weit von der Stelle, wo Mister Nolan mit einer tödlichen Schusswunde aus einer Waffe des gleichen Kalibers auf dem Boden lag.
Was genau ist am Abend dieser Prügelei passiert? Der einzige Mensch im Gerichtssaal, der uns das erzählen könnte, behauptet, keinerlei Erinnerungen an diese Zeit zu haben. Absolut keine Erinnerung. Und das, obwohl sein eigener Arzt ausgesagt hat, dass Blackouts nicht länger als zehn Minuten dauern. Damit bleibt eine Menge Zeit, in der der Angeklagte bei Bewusstsein war, ohne jedoch eine Erklärung dafür oder eine Erinnerung daran zu haben. Die Beweise, die Sie von
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