Schattenkampf
wie er im Irak starb. Ihr war klar, dass sie sich auf nichts einlassen würde, solange sie nicht wieder konkret zusammen waren und solange diese grundsätzlichen Fragen nicht geklärt waren. Ihm davor schon Hoffnungen zu machen, wäre kontraproduktiv und dumm.
Tara hatte einen Pyjama und ihren wärmsten Bademantel angezogen und mehrere Decken über sich gebreitet, als sie im Bett las, denn obwohl es in Redwood City eine milde Nacht
war, zitterte sie immer noch. Schließlich legte sie den letzten Brief beiseite - es war der fünfte oder sechste, den sie gelesen hatte - und schloss die Augen. Sie versuchte sich den Evan vorzustellen, den sie gekannt hatte, versuchte, ein Gefühl aus der Zeit auszugraben, als sie noch geglaubt hatte, sie würden perfekt zusammenpassen und heiraten und eine Familie gründen und ein glückliches Leben miteinander führen. Aber so einfach ging das nicht.
Ein Teil von ihr, vielleicht sogar der größte, glaubte immer noch, dass sie ihn liebte, dass er aus diesem Krieg nach Hause käme und sie einen Neuanfang versuchen und alle Streitpunkte ausräumen würden. Aber jetzt war er schon mehrere Monate weg, und sie hatte die Zeit damit verbracht, ihn innerlich abzuhaken. Wenn er zurückkam - falls er zurückkam -, würden sie sehen, wo sie standen. Sie glaubte, wenn sie und Evan tatsächlich perfekt zusammenpassten, wenn es ihnen bestimmt war, zusammen zu sein, dann könnte sie nichts trennen. Aber vorerst hatte sie ihr Leben und ihre Prinzipien. Sie würde nicht in einer Beziehung bleiben, in der diese Prinzipien von Anfang an infrage gestellt wurden.
Doch der Anschauungsunterricht, den sie gerade von Ron Nolan erhalten hatte, hatte einige dieser Prinzipien von Grund auf erschüttert. Sie waren von schlechten Menschen, die ihnen Schaden zufügen wollten, überfallen worden, und wenn Nolan sie nicht beschützt hätte, wäre sie möglicherweise …
Plötzlich stieg die Erinnerung an den Überfall wieder in ihr hoch - die Männer, die sie mit gezückten Messern umringt hatten. Wie unerwartet und ohne jede Vorwarnung der erste Angriff auf sie erfolgt war. Wenn Ron nicht gewesen wäre … das heißt, nein, nicht nur das … wenn er nicht gewesen wäre,
was er war, hätte die Sache ziemlich übel ausgehen können. Es hätte nicht nur bei einem Raubüberfall bleiben können, es hätte das Ende ihres Lebens, das Ende von allem werden können.
Ein neuer Adrenalinschub ließ sie im Bett aufsitzen.
Sie schlug die Decken zurück, ging ans Fenster und zog die Vorhänge ein paar Zentimeter auseinander, gerade so weit, dass sie nach draußen sehen konnte. Das blau beleuchtete Wasser unten im Pool regte sich nicht. Keine Schatten bewegten sich auf dem Rasen, in den Hecken, die ihn umgaben. Nichts als Frieden und vorstädtische Ruhe. Sie wandte sich vom Fenster ab und ging durch das Schlafzimmer und, im Gehen das Licht einschaltend, ins Wohnzimmer. Sie öffnete den Schrank in diesem Zimmer, den anderen neben der Wohnungstür, dann drehte sie sich um und ging in die Küche. Das Fenster über der Spüle öffnete sich auf den Parkplatz, und sie löschte das Licht in der Küche, um besser nach draußen schauen zu können.
Im Lichtkegel einer der Straßenlampen entdeckte sie Ron Nolans Corvette. Sie stand mit dem Heck zu ihrer Wohnung, der Einfahrt des Parkplatzes zugewandt. Das Verdeck war offen, und sie konnte Ron, den Ellbogen auf den Fensterholm gestützt, reglos am Steuer sitzen sehen. Sie schaute auf die Uhr - es war fast fünfundvierzig Minuten her, dass er sie an die Tür begleitet hatte.
»Ron?«
Er hatte die Schritte näher kommen gehört und sich gezwungen, sich nicht zu bewegen und weiter nach vorn zu schauen, bis sie neben ihm war. Jetzt sah er sie an; sie war in T-Shirt, Jeans und Sandalen. »Hallo.« Unterkühlt.
»Was machst du da?«
»Einfach hier sitzen. Den Abend genießen.« Sie schien eine umfangreichere Erklärung haben zu wollen, und er gab sie ihr. »Ich war noch etwas aufgewühlt. Deshalb hielt ich es für besser, erst wieder etwas zur Ruhe zu kommen, bevor ich losfahre. Ich dachte, du würdest längst schlafen.«
»Nein«, sagte sie. »Ich war auch aufgewühlt.« Sie hielt inne und atmete kurz aus. »Ich habe Evans Briefe gelesen. Ich glaube, er ist immer noch unschlüssig. Dass ich es bin, weiß ich.«
»In Hinblick auf was?«
»Auf uns. Auf mich und ihn. Was ich tun soll?«
»Was willst du in Hinblick auf Evan tun?«
»Wenn ich das wüsste, wäre ich nicht unschlüssig,
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