Schattenkampf

rumgesprochen.« Er schnippte mit den Fingern. »YouTube. Jemand hat dich mit seinem Handy gefilmt und das Ganze ins Internet gestellt, und jetzt wollen diese Girls …«
    Aber Spinoza streckte die Hand aus und stoppte Blades’ Wortschwall. »Ev, ist irgendwas?«

    Auf der Toilette spritzte sich Evan kaltes Wasser ins Gesicht und vergewisserte sich im Spiegel, ob ihm seine Bestürzung noch anzusehen war. Als er zu seinen Kumpeln zurückkehrte, sagte er, er hätte gerade einen Schwindelanfall gehabt - eine Folge seiner Kopfverletzung. Er erklärte, es tue ihm leid, den Spielverderber machen zu müssen, aber es sei besser, wenn er früh nach Hause ginge und sich hinlegte, damit er am nächsten Morgen wieder fit wäre.
    In Wirklichkeit ging er jedoch nur nach draußen zu seinem Auto, stellte es an einer Stelle des Parkplatzes ab, wo seine Kollegen es nicht sehen würden, wenn sie nach Hause fuhren, und wartete. Als sie eine halbe Stunde später alle weggefahren waren, stieg er wieder aus und ging in die Bowlinghalle zurück, wo er sich an die Bar setzte und einen weiteren Cutty Sark on the rocks bestellte, diesmal einen doppelten.
    Taras Bahn war fünfzehn Meter von der Bar entfernt. Sie war in Begleitung dreier Freundinnen, alle sichtlich gut gelaunt. Sie trug einen kurzen weißen, rotgepunkteten Rock, der viel von ihren schlanken braunen Beinen zeigte, und eine rote Seidenbluse mit Spaghettiträgern, die er im Takt ihres Herzschlags schimmern zu sehen glaubte.

    Nachdem er sein Glas mit wenigen Schlucken geleert hatte, bestellte er einen weiteren Doppelten und beobachtete, wie die Gruppe junger Männer auf der Bahn daneben nicht gerade ein Gespräch mit den jungen Frauen anknüpfte, aber der Körpersprache nach ein anhaltendes Flirtgeplänkel. Wenigstens war sie nicht mit Ron Nolan hier, dachte Evan. Das wäre wirklich schwer zu verkraften gewesen, wesentlich schwerer, als sie allein zu sehen, obwohl auch das schon schwer genug war. War sie noch mit ihm zusammen, fragte er sich, oder war sie vielleicht wieder solo? Und wenn sie solo war …?
    Was dachte er da überhaupt? Das war die Frau, die es sogar kaltgelassen hatte, dass er im Irak um ein Haar umgekommen wäre. Die ihn in ihrer Selbstgerechtigkeit ein für alle Mal abgeschrieben hatte, obwohl er lediglich seine Pflicht zu tun versucht hatte. Die ihm von dem Moment an, in dem er in den Irak gekommen war, nicht einen Brief geschrieben oder eine E-Mail beantwortet hatte.
    Wenn er sie jetzt so sah, so sorglos, wie sie immer gewesen war, erschien es ihm plötzlich vollkommen unmöglich, dass sich der Mensch, den er zwei Jahre lang gekannt und geliebt hatte, so sehr verändert haben sollte. Sie hatte immer schon feste Überzeugungen gehabt, aber eine ihrer besten Eigenschaften - was seine Mutter am meisten an ihr geschätzt hatte - war ihre grundlegende Anständigkeit gewesen. Tara war immer ein guter Mensch gewesen. Was war passiert, dass sie sich so verändert hatte?
    Also, das würde er gleich herausfinden.
    Einen Zwanziger auf den Tresen klatschend, leerte er sein Glas, als sei er am Verdursten. Als er aufstand, knallte ihm der Schwindel, den er seinen Kollegen gegenüber vorgeschützt
hatte, mit voller Wucht an den Kopf. Überrascht, wie wenig er inzwischen vertrug, stützte er sich ein paar Sekunden am Tresen ab und versuchte, wieder einen klaren Kopf zu bekommen - er hatte während des Matchs höchstens vier oder fünf Bier getrunken und hinterher den einfachen und die zwei doppelten Scotch an der Bar. Oder waren es lauter Doppelte gewesen? Er machte ein, zwei Schritte und musste sich an einer Stuhllehne abstützen.
    So ging das auf keinen Fall.
    Er würde Tara nicht als wankender, lallender Säufer ansprechen. Er wollte ihr nicht den Vorwand liefern, ihn als peinliche Nervensäge abwimmeln zu können. Er würde es bei einer anderen Gelegenheit versuchen, wenn er nüchtern war. Nach einem letzten Blick auf Tara und ihre Freundinnen konzentrierte er sich ganz aufs Gehen und schaffte es ohne Zwischenfall zum Ausgang und dann die Treppe hinunter und zu seinem Honda CR-V.
    Als er auf dem Fahrersitz saß, verriegelte er von innen die Türen, schnallte sich an, legte die Rückenlehne um, ließ sich flach nach hinten sinken und schloss die Augen.

    Evan hörte das Krachen von Gewehrschüssen, und um ihn herum prallten Kugeln vom Asphalt hoch. Er brüllte Alan und Marshawn zu: »Runter! Runter! In Deckung!«
    Der Beschuss hielt an, ein stetes Stakkato, und das Auto