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Schattenkind: Kriminalroman (Yngvar Stubø-Reihe) (German Edition)

Schattenkind: Kriminalroman (Yngvar Stubø-Reihe) (German Edition)

Titel: Schattenkind: Kriminalroman (Yngvar Stubø-Reihe) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Holt
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wach.«
    Sie lächelte rasch und fuhr sich über die Haare, dann hob sie ihre Kaffeetasse.
    »Er hat wenig geschlafen. Sehr wenig. Torbjørn und ich haben angeboten, sie zu entlasten, aber wir haben damals beide noch gearbeitet, und so konnten wir das nur in Grenzen. Helga, Jons Mutter, hat auch geholfen, das weiß ich, aber in ihrem Alter ist das ja nicht mehr so leicht. Sie ist zwanzig Jahre älter als ich.«
    »Viele Säuglinge sind anstrengend«, sagte Inger Johanne. »Meinen Sie, Sander war schon damals irgendwie anders?«
    Agnes schien zu überlegen. Sie hielt die Tasse an den Mund, ohne zu trinken, und kniff die Augen zusammen.
    »Ja. Ich denke schon. Ich hatte zwar nur ein Kind, aber ich bin doch Krankenschwester. Ich habe damals viel über Schlafprobleme gelesen und wusste daher, dass Sander ungewöhnlich schwierig war. Es half sicher auch nicht, dass sie es mit einer Therapie nach der anderen versucht haben, der Junge war doch total verwirrt.«
    »Und Ellen war erschöpft.«
    »Ja. Jon auch, glaube ich, das muss ich ihm lassen, aber in der Zeit zeigte sich ja deutlich, wie vorteilhaft es für ihn war, dass Ellen nicht mehr in die Praxis musste. Er hat dann oft im Gästezimmer geschlafen, das weiß ich.«
    »Wie lange hat das eigentlich gedauert?«
    »Es hat eigentlich nie aufgehört. Mit einem Jahr fing er zwar an, die Nacht durchzuschlafen, und das war ein großer Fortschritt. Aber das war vielleicht immer ein Zirkus, ihn zu beruhigen.«
    Ihr resigniertes Lachen entlockte Inger Johanne ein Lächeln.
    »Jon hat sich wirklich Mühe gegeben, ihn vor dem Schlafengehen müde zu machen«, sagte Agnes jetzt. »Sie haben gespielt und herumgetobt. Es half aber überhaupt nichts. Manchmal gab es nur eine Lösung, nämlich ihn ins Auto zu setzen und durch die Gegend zu fahren, bis er eingeschlafen war. Ihn ins Haus zu tragen, ohne dass er erwachte, war auch alles andere als leicht. Und Jon schaffte das am Ende richtig gut.«
    Agnes stellte die Tasse ab und schob die Untertasse ein Stück von sich weg.
    »Das Seltsame war, dass er sich bei uns immer ziemlich normal benahm. Er kam manchmal an den Wochenenden zu uns. Unruhig und unkonzentriert war er ja immer, aber ...«
    Wieder wurden ihre Augen feucht.
    »Bis wir ihn nicht mehr holen durften«, sagte sie leise. »Aber wir hatten dann ja einige Tricks gelernt.«
    »Ja? Welche denn?«
    »Ihn zeichnen zu lassen, ehe er schlafen ging. Er zeichnet so ungeheuer gern. Hat gezeichnet, meine ich. Früher. Ich weiß ja nicht ...«
    »Er hat immer gern gezeichnet«, sagte Inger Johanne. »Überall, scheint mir. Sehr gut zudem, nach dem wenigen, was ich gesehen habe.«
    Sie dachte an die übermalten Autoumrisse an Sanders Zimmerdecke. Sie waren viel detaillierter und besser proportioniert, als ihre Kinder das geschafft hätten.
    »Und dann das mit den Schmusetieren«, sagte Agnes. »Aus irgendeinem Grund haben sie ihm seinen Teddy weggenommen, als er drei Jahre alt war. Sie hatten es sich in den Kopf gesetzt, dass Jungen so was nicht länger haben dürfen. Das ist natürlich der pure Unsinn, nicht wahr? Bei uns hatte er ein braunes Kaninchen, das er liebte. Wenn er eine Stunde zeichnen durfte und wusste, dass er danach ins Bett musste, und wenn er Burre mitnehmen durfte, war das dann eigentlich kein Problem.«
    »Aber Meinungsverschiedenheiten über Schmusetiere haben doch wohl nicht zu diesem dramatischen Bruch zwischen euch geführt«, sagte Inger Johanne.
    »Nein. Es kam noch mehr. Nach und nach. Uns fiel dann auf, dass Sander oft kleine ...«
    Sie schien nicht recht zu wissen, welches Wort sie verwenden sollte.
    »... Verletzungen hatte«, sagte sie endlich.
    Inger Johanne wartete.
    »Ein blaues Auge«, sagte Agnes nach einer kleinen Ewigkeit. »Eine Schwellung hier, einen blauen Flecken dort. Ab und zu kleine Brandwunden. Nichts Großes, deshalb haben wir anfangs nicht weiter darauf geachtet. Wir hatten keine große Erfahrung mit Jungen, und obwohl die ADHS-Diagnose noch nicht gestellt war, begriffen wir ja, dass er ein ungeheuer aktives Kind war.«
    Jack hatte sich zwischen sie unter den Tisch gelegt. Seine Schnauze ruhte auf Inger Johannes Fuß. Er hatte sicher etwas Schwerverdauliches gefressen, denn die Winde, die er in regelmäßigen Abständen entweichen ließ, waren nicht zu ertragen.
    »Das mit dem Hund tut mir leid«, sagte Inger Johanne und stand auf, um das nächstgelegene Fenster zu öffnen. »Er ist schon sehr alt. Jack, geh ins Schlafzimmer.

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