Schattenkind: Kriminalroman (Yngvar Stubø-Reihe) (German Edition)
in Jon war niemals grausam. Das Düstere in ihm war Ellens Geborgenheit. Er hatte ihr sogar vergeben können, als er ihren Betrug entdeckt hatte. Es hatte gedauert, Wochen mit Tagen voller Vorwürfe und Nächten voller Distanz, aber am Ende war er bei ihr geblieben. Er hätte es eigentlich niemals erfahren sollen, aber Sander war so anders als sie beide. Die vielen Kinderbilder von Jon, mit schmalen Schultern im Matrosenanzug, der magere Junge mit dem Gürtel seines Vaters um die Skihose und Augenwimpern, so lang wie die einer Giraffe – Sander hatte damit keinerlei Ähnlichkeit.
Jon hatte sich und den Jungen testen lassen, und damit war Ellen entlarvt.
Zuerst hatte der Zorn ihn unnahbar werden lassen. Dann hatte er sich eines Nachts im Bett aufgesetzt und eine Erklärung verlangt.
Die hatte sie ein wenig zurechtbiegen müssen.
Als sie nach der dritten Fehlgeburt die Kinderwunschklinik in Finnland aufgesucht hatten, weit weg von Freunden und Bekannten, kam rasch heraus, dass Jons Samenqualität arg zu wünschen übrig ließ. Das wurde ihnen beiden gesagt. Was Ellen unter vier Augen vom Arzt erfuhr, als sie zur Hormonbehandlung kam, war, dass ihre drei Schwangerschaften an ein Wunder grenzten. Schlechte Spermien brachten keine oder defekte Embryos, die der Körper dann in der Regel abstieß. Sie würden nie ein lebensfähiges Kind bekommen, falls sie nicht ganz andere Möglichkeiten in Betracht zögen.
Er hatte eine Samenspende vorgeschlagen.
»Ja«, hatte sie, ohne zu zögern, ohne zu zweifeln, gesagt. »Ja.«
Dann müsse sie mit ihrem Mann sprechen, war ihr gesagt worden. »Wir brauchen die Zustimmung von beiden.«
Die würden sie niemals bekommen.
Es war unmöglich, mit Jon über diese Dinge zu sprechen, er würde sich niemals bereit erklären. Er wünschte sich Kinder, seine eigenen Kinder, er wollte Nachkommen mit den Genen der Familie Mohr, und er hatte auch die Möglichkeit einer Adoption schroff zurückgewiesen, als sie die zwei Jahre zuvor erwähnt hatte.
In jener Nacht, einige Tage nach Sanders erstem Geburtstag, hatte sie lügen müssen, als sie ihm die erste Hälfte berichtet hatte. Sie behauptete, der Arzt habe ihr geholfen. Ellen sei durch einen finnischen Samenspender befruchtet worden, es sei gefahrlos und sauber gewesen, es sei diskret geschehen, niemand werde davon erfahren, und war es im Grunde nicht besser, dass sie niemals etwas gesagt hatte? Sander war doch Jons Sohn, er war ihr eigenes Kind, und wer scherte sich denn heutzutage noch um solche genetischen Details?
Die Wahrheit war, dass der Arzt sich entschieden geweigert hatte. Ohne die Zustimmung des Ehepartners kam eine Samenspende nicht infrage. Sie solle mit ihrem Mann sprechen und sei willkommen, wenn sie beide sich entschieden hätten.
Der Arzt und Jon würden beide nicht von ihrem Standpunkt abrücken. So würde Ellen niemals schwanger werden.
Die Lösung lag in einer Stippvisite in Dänemark, während Jon ein Seminar in Spanien besuchte. In einem Keller in Kopenhagen hatte eine üppige, kurz geschorene Frau Ellen im Handumdrehen geschwängert, für viertausend Kronen und eine Umarmung zum Abschied. Die Klinik wurde geleitet von einer Hebamme mit feministischen Idealen, und alles, was für die Befruchtung nötig war, war ein Telefongespräch von einer Dreiviertelstunde. Der Spender würde für immer anonym bleiben, und anders, als Ellen geglaubt hatte, gab es auch keine ausführlichen Kataloge über Eigenschaften, Aussehen und Karriere der Männer. Auf einem Fragebogen hatte sie sich blaue Augen und blonde Haare wünschen dürfen. Das war alles.
Jon und Ellen hatten beide dunkelblaue Augen. Die von Sander waren eisblau. Ellens blonde Haare wurden alle fünf Wochen für Geld wieder blond, und Jon wurde jedes Jahr dunkler. Obwohl er wie viele kleine Norweger als Kind blond gewesen war, hatte der Flaum auf seinem Babykopf keine Ähnlichkeit mit Sanders dickem weizenhellem Schopf.
Ellen hatte Jon einen Teil der Wahrheit erzählt und sie dann mit einer Unwahrheit versüßt, die sie sich nicht richtig überlegt hatte.
Als sie ihr herausrutschte, in ihrer Verzweiflung und Angst, im Schlafzimmer, im Dunkeln, mit Jon neben sich, der vor Empörung zitterte, geriet sie in Panik bei der Vorstellung, er könnte ihre Geschichte überprüfen. Aber ihr war klar gewesen, dass Jon einen Besuch bei einer großbusigen Lesbe in einer Kopenhagener Seitenstraße niemals akzeptieren würde. Die Lüge hatte sich von selbst ergeben.
Und sie
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