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Schattenkinder

Schattenkinder

Titel: Schattenkinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margaret Peterson Haddix
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Hungersnöte und die Regierung wurde gestürzt. Überall brachen Kämpfe um Nahrungsmittel aus und viele, viele Leute kamen ums Leben. Als General Sherwood an die Macht kam, versprach er den Leuten Recht und Ordnung und Essen für alle. Mehr wollten die Leute damals nicht. Und mehr bekamen sie auch nicht.«
    Luke kniff die Augen zusammen, so angestrengt versuchte er zu folgen. Dies war schlicht und einfach ein Erwachsenengespräch. Es war sogar noch schlimmer als die Erwachsenengespräche, an die er gewöhnt war, denn seine Eltern unterhielten sich immer nur über die Getreideernte, über Rechnungen und wie wahrscheinlich es war, dass es gegen Ende Mai noch einmal Frost gab. Solche Dinge verstand Luke. Aber Regierungen, die gestürzt wurden, Aufstände in Städten - das war jenseits seines Vorstellungsvermögens.
    »Die Barone schon«, warf er ein und bekam sofort einen roten Kopf, weil es so unverschämt klang.
    Jens Vater lachte. »Stimmt. Das hast du richtig bemerkt. Ich weiß, es ist ungerecht, und ich bin auch nicht stolz darauf, aber ... die Regierungsleute entschieden sich dafür, einer Klasse besondere Privilegien einzuräumen - wahrscheinlich hat dich Jen mit Junkfood bekannt gemacht, nicht wahr?«
    Luke nickte.
    »Das ist ein gutes Beispiel. Offiziell ist es verboten, trotzdem wurde noch nie jemand dafür verhaftet, dass er Barone mit Junkfood versorgt. Eine äußerst praktische Angelegenheit, wenn man bedenkt, dass alle mächtigen Regierungsangestellten Barone sind.« Der Zynismus in seinen Worten erinnerte Luke so sehr an Jen, dass er sich fast wieder seiner Trauer hingegeben hätte. Aber er zwang sich Jens Vater weiter aufmerksam zuzuhören.
    »Die Tatsache, dass alle anderen in Armut leben, rechtfertigt die Regierung damit, dass die Menschen immer dann am fleißigsten sind, wenn sie um ihr Überleben kämpfen müssen«, fuhr er fort. »Sie sorgen schon dafür, dass die meisten Leute - diejenigen, die kooperieren - über die Runden kommen. Wenn du deine Eltern einmal über andere Farmer hast reden hören, dann weißt du wahrscheinlich, dass heutzutage niemand mehr seinen Hof verliert. Aber es macht auch niemand so viel Gewinn, dass er bequem davon leben kann.«
    Luke dachte an die chronischen Geldsorgen seiner Eltern. War das alles überflüssig? Wurden sie einfach manipuliert? Er fühlte Zorn in sich aufsteigen, aber auch den unterdrückte er, weil er andere Fragen hatte.
    »Aber selbst die Barone müssen das Bevölkerungsgesetz einhalten«, sagte er. »Liegt das daran« - er schluckte -, »dass es notwendig ist? Gab es zu viele Menschen? Ist es immer noch so?«
    »Wahrscheinlich nicht«, antwortete Jens Vater. »Wenn man die Nahrung gerecht verteilt hätte ... wenn die Leute nicht in Panik geraten wären ... wenn wir gute Politiker gehabt hätten, die offen zugegeben hätten, dass
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    Margaret Peterson Haddix - Schattenkinder
    alle zusammenarbeiten müssen ... dann hätten wir die Krise überstehen können ohne die Rechte der Menschen zu beschneiden. Und heute - heute dürfte es kein Problem sein, wenn sich einige Leute dafür entscheiden, drei oder vier Kinder zu haben, solange es andere gibt, die keine wollen. Aber das Bevölkerungsgesetz wurde General Sherwoods liebste Errungenschaft. Deshalb sind nicht einmal die Barone davon ausgeschlossen. Weil er damit allen zeigen kann: >Seht nur, wie viel Macht ich über das Leben meines Volkes habe.<«
    »Also ist es verkehrt«, sagte Luke, der sich bemühte das Ganze zu verstehen.
    »Das denke ich. Ja«, erwiderte Jens Vater.
    Luke fühlte sich merkwürdig erleichtert darüber, dass seine Existenz nicht völlig falsch war, sondern nur illegal.
    Zum ersten Mal seit der Lektüre der Regierungsbücher konnte er diese beiden Gesichtspunkte getrennt betrachten. Vielleicht war das der Grund, warum er zu viel Angst gehabt hatte, zur Kundgebung zu gehen.
    Hätte er wirklich daran geglaubt, so wie Jen, dann wäre er vielleicht gegangen.
    Ob auch er getötet worden wäre - wie sie?
    Das alles war viel zu verwirrend und beängstigend, um darüber nachzudenken.
    Jens Vater sah auf seine Armbanduhr.
    »Ich muss zurück zur Arbeit. Selbst ich kann nicht alles vertuschen. Wenn du willst, besorge ich dir bis morgen Abend falsche Papiere. In der Zwischenzeit würde ich dir raten...«
    Er brach ab. Luke wusste, warum: Es war ein Geräusch aus seinen schlimmsten Alpträumen - ein Pochen an der Tür und dann der Befehl: »Aufmachen! Bevölkerungspolizei!«
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