Schattenkinder
über das ganze Gesicht.
Sie hatte auch an jenem Abend geweint, als Luke seinen Eltern alles erzählte.
Er hatte mit seinem ersten Besuch bei Jen angefangen und seine Mutter hatte sofort geschimpft: »O Luke, wie konntest du nur! Die Gefahr ... Ich weiß, dass du einsam bist, aber versprich mir, Schatz, dass du das nie wieder. ..«
»Das ist noch nicht alles«, sagte Luke.
Den Rest erzählte er ohne sie anzusehen, bis er zum Ende kam und zu seinem Entschluss, falsche Papiere anzunehmen. Dann machte ihr Schluchzen es ihm unmöglich, länger wegzusehen. Sie war in Tränen aufgelöst und völlig verzweifelt.
»Nein, Luke, das kannst du nicht machen«, schluchzte sie. »Weißt du denn nicht, wie sehr du uns fehlen würdest?«
»Aber Mutter, ich will doch gar nicht gehen«, sagte Luke. »Es ist einfach so ... dass ich gehen muss. Ich kann mich nicht für den Rest meines Lebens auf dem Dachboden verstecken. Was passiert, wenn ihr beide euch nicht mehr um mich kümmern könnt?«
»Dann werden Matthew und Mark es tun«, erwiderte sie.
»Aber ich will ihnen nicht zur Last fallen. Ich will auch etwas mit meinem Leben anfangen. Herausfinden, wie ich anderen dritten Kindern helfen kann. Einfach...« Alles, was ihm vorschwebte, klang schlichtweg zu albern, um es seiner schluchzenden Mutter zu erklären. Also sagte er kleinlaut: »Einfach in der Welt etwas bewirken.«
– 75 –
Margaret Peterson Haddix - Schattenkinder
»Ich will ja gar nicht sagen, dass das unmöglich ist«, sagte die Mutter. »Aber das hat noch viele Jahre Zeit.
Wir werden schon einen Weg finden, um dir falsche Papiere zu besorgen, wenn du erwachsen bist.
Irgendwie.« Sie sah Lukes Vater an. »Sag du es ihm, Harlan.«
Der Vater seufzte tief.
»Der Junge hat Recht. Er muss jetzt gehen, wenn es möglich ist.«
Luke sah, wie schwer ihm diese Worte fielen, dennoch versetzten sie ihm einen Stich. Vielleicht hatte er insgeheim ein wenig gehofft, seine Eltern würden ihm verbieten fortzugehen, würden ihn auf dem Dachboden einschließen und ihn für immer als ihren kleinen Jungen behalten.
»Ich habe mich ein bisschen umgehört, ganz unauffällig, wollte mal sehen, ob. irgendjemand je davon gehört hat, dass ein drittes Kind ganz normal leben kann. Hier in der Gegend geht das nicht«, sagte der Vater. »Wie ich das sehe, kriegt er diese Chance nicht noch einmal.«
Luke wandte sich wieder seiner Mutter zu, weil es ihm zu schwer fiel, seinen Vater beim Sprechen anzusehen. Aber das leidvolle Gesicht der Mutter war noch schlimmer.
»Dann haben wir wohl keine Wahl«, murmelte sie.
Das war vor zwei Tagen gewesen. Seitdem hatte sie sich bei ihrer Arbeitsstelle krank gemeldet und war zu Hause geblieben, wo sie jede Sekunde mit Luke verbrachte. Sie hatten Brettspiele und Karten gespielt, aber immer wieder hatte die Mutter mit »Weißt du noch...« oder »Ich weiß noch...« unterbrochen.
Die Laute, die er als Baby von sich gegeben hatte. Seine ersten Schritte. Die Freude, als er das erste Mal Erde entdeckte, in jenem Frühjahr, als er zwei war. Seine erste richtig gehackte Ackerreihe. Die armlange Zucchini, die er selbst gezogen hatte. Die Gutenachtgeschichten und Gespräche beim Zubettgehen.
Er wusste, dass sie ihn mit Erinnerungen anfüllte für die Zeiten, in denen er niemanden haben würde, mit dem er über seine Kindheit reden konnte. Aber es war schwer, ihr zuzuhören. Er wünschte, sie könnten einfach ihre Monopoly-Figuren weiterrücken und so tun, als laufe ihnen die Zeit nicht davon.
Aber dieser Morgen war nur allzu schnell gekommen. Jens Vater war in seinem schicken Wagen vorgefahren und herausgesprungen, um Lukes Eltern die Hand zu schütteln.
»Mr. Garner, Mrs. Garner, haben Sie vielen Dank, dass Sie das Eintreffen dieses Jungen gleich gemeldet haben. Soweit ich weiß, haben sich seine Eltern fast zu Tode geängstigt.« Er drehte sich zu Luke um, »Das war verantwortungslos und leichtsinnig von dir, junger Mann. Nur gut, dass du wenigstens daran gedacht hast, deinen . Ausweis mitzunehmen. Ich nehme an, du weißt, dass die Bevölkerungspolizei zuerst schießt und hinterher die Fragen stellt.«
Er klopfte Luke auf den Rücken und ließ dann die Hand sinken, um ihm etwas in die Tasche zu stecken. Luke fasste hinein und berührte die harte Kante einer Ausweiskarte. Seiner Ausweiskarte.
»Müssen wir jetzt schon mit dem Verstellen anfangen?«, flüsterte Lukes Mutter, der die Tränen bereits in den Augen standen.
Jens Vater nickte streng mit
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