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Schattenkinder

Schattenkinder

Titel: Schattenkinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margaret Peterson Haddix
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gewünscht ein anderes drittes Kind zu finden, das ich besuchen kann.«
    »Also war Jen unvorsichtig«, sagte der Mann mit einem Unterton in der Stimme, den Luke nicht einordnen konnte.
    »Nein«, erwiderte Luke unsicher. »Ich habe bloß genau aufgepasst.«
    Der Mann nickte, aber es war nur eine Reaktion auf Lukes Antwort. Dann setzte er sich auf den Stuhl vor dem Computer und legte das Gewehr über seine Knie.
    Luke deutete dies als Zeichen, dass ihre Unterhaltung lange genug dauern würde, um vielleicht etwas herauszufinden.
    »Hat Jen dir beigebracht, wie man unsere Alarmanlage ausschaltet?«
    Luke sah keinen Grund zu lügen. »Ja, aber ich muss es vermasselt haben, wenn Sie hier aufgetaucht sind...«
    »Nein«, erwiderte der Mann. »Wenn du es vermasselt hättest, wäre der Sicherheitsdienst gekommen. Ich hatte die Anlage so eingestellt, dass ich automatisch benachrichtigt werde, wenn sie während meiner
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    Margaret Peterson Haddix - Schattenkinder
    Abwesenheit deaktiviert wird ... Unter den gegebenen Umständen habe ich mich entschlossen selbst nachzusehen.«
    Luke hätte zu gern gefragt, welche »Umstände« er meinte, aber der Mann stellte bereits die nächste Frage.
    »Und was habt ihr beiden noch gemacht?« Luke verstand nicht, warum der Mann so vorwurfsvoll klang.
    »Nichts«, antwortete er. »Wir haben uns viel unterhalten. Sie hat mir den Computer gezeigt. Sie ... sie wollte, dass ich an der Kundgebung teilnehme, aber ich hatte zu viel Angst.«
    Zu spät fragte sich Luke, ob der Mann überhaupt von der Kundgebung wusste. Hatte er damit Jens Vertrauen enttäuscht? Aber der Mann wirkte nicht überrascht. Er betrachtete Luke genauso aufmerksam, wie Luke ihn gemustert hatte.
    »Warum hast du sie dann nicht aufgehalten?«, fragte er.
    »Aufhalten - Jen? Das ist, als wollte man die Sonne aufhalten«, erwiderte Luke.
    Der Mann schenkte ihm ein winziges, ganz und gar freudloses Lächeln. »Vergiss das nie«, sagte er.
    »Also, wo ist sie?«, fragte Luke.
    Der Mann sah zur Seite.
    »Jen ist...« Er brach ab. »Jen ist nicht mehr unter uns.«
    »Ist sie...?«
    »Sie ist tot«, sagte der Mann schroff.
    Irgendwie hatte Luke es gewusst, auch wenn er es nicht wissen wollte. Trotzdem taumelte er fassungslos zurück, stieß gegen die Couch und sackte auf ihr zusammen.
    »Nein«, sagte er. »Nicht Jen. Nein, nein. Sie lügen.«
    In seinen Ohren dröhnte es. Wirre Gedanken schössen ihm durch den Kopf. Das ist ein Traum. Ein Alptraum.
    Ich werde mich zwingen aufzuwachen. Er sah Jen mit wilden Armbewegungen reden wie ein Wasserfall. Wie konnte sie da tot sein? Er versuchte sich vorzustellen, dass sie bewegungslos dalag. Tot. Es war unmöglich.
    Der Mann schüttelte hilflos den Kopf.
    »Ich würde alles dafür geben, sie wiederzuhaben«, flüsterte er. »Aber es ist wahr. Ich habe sie gesehen. Sie haben uns ... sie haben uns den Leichnam übergeben. Sonderbehandlung für einen Regierungsbeamten.«
    Seine Stimme klang so bitter, dass Luke ihm kaum zuhören konnte. »Aber im Familiengrab begraben durften wir sie nicht. Wir durften keinen Trauertag frei nehmen und niemandem erzählen, warum wir mit roten Augen und wunden Herzen herumlaufen. Die ganze Zeit über mussten wir so tun, als seien wir die gleiche vierköpfige Familie wie immer.«
    »Wie?«, fragte Luke. »Wie ist sie ... gestorben?«
    Wenn es ein Autounfall war, dachte er, dann wäre es nicht so schlimm. Oder wenn es mit der Kundgebung gar nichts zu tun hatte. Vielleicht war sie einfach nur schwer krank geworden.
    »Sie haben sie erschossen«, sagte Jens Vater. »Sie haben alle erschossen. Alle vierzig Kinder auf der Kundgebung, direkt vor dem Haus des Präsidenten. Das Blut ist in seine Rosenbüsche gelaufen. Aber bevor die ersten Touristen kamen, waren die Bürgersteige schon wieder sauber, damit niemand davon erfährt.«
    Luke begann abwehrend den Kopf zu schütteln und konnte nicht mehr aufhören.
    »Aber Jen hat gesagt, es würden zu viele Leute da sein, um alle zu erschießen. Sie hat gesagt, es würden Tausende von Schattenkindern kommen«, widersprach er, als könnten Jens Worte an dem, was er hörte, irgendetwas ändern.
    »Unsere Jen hatte zu viel Vertrauen in den Mut ihrer Leidensgenossen«, sagte Jens Vater.
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    Margaret Peterson Haddix - Schattenkinder
    Luke zuckte zusammen. »Ich habe ihr gesagt, dass ich nicht mitkommen kann«, erwiderte er. »Ich habe es ihr gesagt. Es ist nicht meine Schuld!«
    »Nein«, sagte Jens Vater leise.

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