Schattenkrieg
In diesem Moment war sie kurz davor gewesen, diesen Affen zu erzählen, was zu ihren Beförderungen geführt hätte –
ich will eure Gesichter sehen, wenn ihr von den Straßenschlachten in Mogadischu und Sarajevo hört – ,
doch es war ihr gelungen, sich zurückzuhalten. Die Männer hätten ihr ohnehin nicht geglaubt. Stattdessen hatte sie – wie meistens – ihr Essen so schnell wie möglich beendet und sich aus der Offiziersmesse zurückgezogen.
Die Aussicht, den ganzen freien Sonntag in der Basis zu verbringen, war in ihrer momentanen Stimmungslage plötzlich nicht besonders rosig gewesen, weshalb sie beschlossen hatte, in die Stadt zu gehen. Zuvor hatte sie sich jedoch in Schleifers Magazin ein paar zivile Klamotten besorgt –
zu groß, zu weit, zu männlich, aber immerhin zivil
–, um in der Stadt nicht aufzufallen wie ein bunter Hund. Nun trug sie über einer braunen Stoffhose eine schwarze Jacke, ihr blondes Haar hatte sie unter einem Kopftuch verborgen. Sie hoffte, so kein Aufsehen zu erregen.
Es war ein schöner, sonniger Tag. Es standen kaum Wolken im Himmel, der Wind war gerade so stark, dass sich die Wärme nichtin den Gassen staute. In Gnjilane war Markttag. Dies und das Wetter hatten Hunderte von Menschen auf die Straßen gelockt. Marktfrauen in Kleidern und geblümten Schürzen feilschten mit ihren meist ähnlich gekleideten Kundinnen über die Preise von Gemüse und Obst. Auf Bänken am Straßenrand saßen alte Männer und beobachteten das Treiben. Musik drang aus den offenen Haustüren. Kinder in zerlumpten Kleidern rannten zielstrebig durch das Gedränge oder spielten in den Hinterhöfen Fußball. Die Stadt hatte sich mit tausend Wäscheleinen geschmückt, auf denen weiße, altmodische Unterwäsche im Wind flatterte.
Kaum zu glauben, dass in diesem Land Bürgerkrieg herrscht …
Doch die Zeichen waren da. Die Gebäude hinter dem ganzen Treiben wirkten heruntergekommen, und überall sah man Spuren vergangener Gefechte: Einschusslöcher in den Häuserwänden, mit Brettern vernagelte Fenster, halbzerfallene, ausgebrannte Gebäude, von Mörsergranaten aufgerissene Straßen. Veronika fiel auch auf, dass nur wenige junge Männer zu sehen waren. Sicherlich war das zum Teil darauf zurückzuführen, dass die Markteinkäufe in diesem Land Frauensache waren. Veronika glaubte trotzdem, dass eigentlich mehr Männer auf den Straßen sein müssten. Wo waren sie? Hatten sie sich den Milizen angeschlossen? Oder waren sie in dem schon Jahre andauernden Konflikt gefallen?
Eine Zeitlang wanderte sie ziellos durch die Stadt. Dabei kam sie schließlich auch an den Fluss, der den serbischen Teil Gnjilanes von dem albanischen trennte. Auf eine Mauer gelehnt, beobachtete sie eine der Brücken. Trotz der vielen Menschen auf den Straßen war die Verbindungsstraße wie tot. Nur selten ging jemand von der einen auf die andere Seite.
Kurzerhand beschloss Veronika, sich auch den anderen Teil der Stadt anzusehen. Auf dem Weg zum Brückenaufgang fiel ihr eine Gruppe bewaffneter junger Männer auf, die die Brücke misstrauisch observierten. Unmittelbar neben ihnen stand ein Pritschenwagen, auf dessen Ladefläche ein großer, schlanker Gegenstand von einer Plane verhüllt war. Sie schüttelte den Kopf. Veronikahatte in Somalia genügend solcher Fahrzeuge gesehen, um zu wissen, dass sich unter der Plane ein Maschinengewehr verbarg. Sie überquerte die Brücke.
Die zweite Hälfte Gnjilanes bot keinen anderen Eindruck als die erste. Es gab kleinere Unterschiede, die jedoch kaum ins Gewicht fielen: Der Markt war etwas dezentraler, ein paar Marktschreier versuchten, die Kunden zu sich zu locken. Die meisten Frauen trugen zusätzlich zu den Kopftüchern auch noch Schleier. Aus geöffneten Fenstern und Türen drang ein für Veronikas Ohren quälender, hoher Singsang, den sie sofort mit den türkischen Wohnvierteln in Deutschland in Verbindung brachte. Doch auch hier befanden sich Gebäude und Straßen in einem schlechten Zustand, und auch hier waren die Spuren des Krieges zu sehen, wenn man danach suchte.
Ein Wunder, dass es nicht schlimmer aussieht,
dachte Veronika,
wenn man bedenkt, dass sich die beiden Parteien hier Tag für Tag in direkter Schusslinie gegenüberstehen …
Sie wollte sich gar nicht vorstellen, welches Blutbad das MG auf dem Markt anrichten konnte.
Der Duft von Mokka-Kaffee störte sie in ihren militärischen Überlegungen und ließ sie innehalten. Sie hatte schon lange keinen guten Kaffee mehr getrunken.
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