Schattenkrieg
Veronika ließ ihren Blick über die Straße schweifen, in der sich die Menschen beinahe genauso verhielten wie auf der anderen Seite des Flusses – und sich doch so spinnefeind waren. Sie schüttelte den Kopf.
»Darf ich Sie fragen, Veronika, wie spät es ist?«
»Sechzehn Uhr zwanzig.«
»Dann muss ich jetzt leider gehen. Aber wenn Sie möchten – ich bin jeden Sonntag um diese Zeit in der Stadt.«
»Gerne, wenn ich es irgendwie mit meinem Dienstplan unter einen Hut kriege. Gleiche Zeit am gleichen Ort?«
Fatima nickte, und so verabschiedeten sich die beiden Frauen. Als die Muslimin davonging, sah ihr Veronika lange hinterher. Fatima war eine Frau, die es geschafft hatte, sich trotz ihrer schwierigen Position durchzusetzen. Veronika nahm sich für ihr nächstes Treffen vor, sie zu fragen, wie sie das geschafft hatte. Dann wandte sie sich um und kehrte zurück zur Basis.
DERRIEN
Am Jostedalsbreen, Niemandsland, Norwegen
Mittwoch, 18. November 1998
Die Innenwelt
Die Gegend nordwestlich des Jostedals war überraschend dicht besiedelt gewesen. Immer wieder waren sie auf verlassene Dörfer gestoßen, sowohl vor als auch nach der Überquerung des Gletschers. Wie
viele
Fomorer der Schwarze Baum hier angesiedelt hatte, war jedoch schwierig einzuschätzen. Die Spur, der sie folgten, war zu breit, um ihre Stärke vernünftig beurteilen zu können. Es war gut möglich, dass der Schattenlord inzwischen einen Tross von fünfhundert oder vielleicht sogar tausend Männern angesammelt hatte.
Es war furchteinflößend, wie schnell Rushai so viele Männer sammeln konnte. Die Kelten konnten in zehn Jahren nicht so viele Menschen in die Innenwelt bringen, wie es der Schwarze Baum in zwei oder drei Jahren getan hatte. Das Ritual, das die Druiden dafür verwendeten, funktionierte nur bei Leuten mit Aura, von denen es immer weniger zu geben schien.
Die Schatten nutzten die Fähigkeit, jeden beliebigen Menschen in die Innenwelt zu transportieren, rücksichtslos aus. Sie versprachen, bestachen, erpressten und drohten und scheuten nicht einmal davor zurück, gewaltsam Leute zu ihren versteckten Ritualplätzen in der Außenwelt zu verschleppen und sie dem Schwarzen Ritual zu unterziehen. Dieses löschte – ähnlich dem Ritual der Entwurzelung – alle mystischen Einflüsse, welche die Abstammung eines Menschen mit sich brachte, und machte sie zu Fomorern. Es gab Berichte über dieses Ritual, aber nur wenige. Die meisten Fomorer fürchteten die Erinnerung daran mehr als die Folter.
Das Schwarze Ritual veränderte sie. Doch während es bei allen eine gewisse Hörigkeit gegenüber den Befehlen der Schatten verursachte, waren die anderen Folgen von Fomorer zu Fomorer unterschiedlich. Viele trugen psychische Störungen davon, einige verloren auch völlig ihre Menschlichkeit und wurden den Schatten ähnlich, blutgierig und gewaltbereit. Manche erlangten gewisse Schattenkräfte, so wie es auch bei den Stämmen Menschen mit einzelnen Druidenkräften gab. Manche Seelen zerbarsten unter der Belastung und ließen katatonische, sabbernde Körper zurück, die von den Schatten zum nächsten Opferaltar geschleppt wurden.
Fomorer – sie waren der Dreh- und Angelpunkt der Strategie der Schatten. Abgesehen von ihren Lords waren Schatten oft schwächer als ihre druidischen Gegner, weshalb sie sich hinter einem Schutzschild aus Fomorern verbargen. Sie steckten sie in schlechte Rüstungen, gaben ihnen Waffen in die Hand und schickten sie in den Krieg gegen die Stämme. Der Blutzoll, den die Fomorer dabei zu zahlen hatten, war unglaublich hoch. Sie waren meist schlecht ausgebildet, ihre Moral war bodenlos. Ihre Gegner in der Schlacht waren die Krieger der Stämme, die meist seit Jahren und Jahrzehnten in der Innenwelt lebten, Heim und Sippschaft verteidigten und über die Jahre hinweg immer wieder trainiert wurden.
Doch während die Schatten ihre Armeen schnell neu rekrutieren konnten, litten die Stämme über Jahre und Jahrzehnte an den Verlusten, die sie in den Kriegen erlitten. Es war ein Erschöpfungskrieg – die Schatten trieben so lange ihre Fomorer gegen die Stämme, bis diese schließlich zusammenbrechen würden. Wenn der Kriegszug gegen Bergen nicht gelang, würde Norwegen ein ähnliches Schicksal erleiden wie Deutschland, Polen oder Russland, eine Abwärtsspirale aus aufeinanderfolgenden Kriegen und Schlachten.
Deshalb
war es so wichtig, das Niemandsland unter Beobachtung zu halten.
Deshalb
mussten Schatten, sobald sie
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