Schattenkrieg
entdeckt waren, gejagt und vernichtet werden.
Deshalb
ärgerte sich Derrien so sehr darüber,dass er nicht schon viel früher mit einem anderen als seinem Bruder über die Geschehnisse in Bergen gesprochen hatte. Die Schatten dort hatten viel zu lange Zeit gehabt, ein Fomorerheer aufzustellen. Und Rushai war unterwegs, ihnen
noch
mehr Männer zu bringen.
Der Übergang über den Jostedalsbreen hatte den Schwarzen Baum immerhin aufgehalten. Außerdem hatte er für das Wagnis teuer bezahlt: Im Schnee und Eis des Gletschers hatten die Waldläufer zahlreiche Tote gefunden, Männer wie Frauen, Erwachsene und Kinder, dazu haufenweise zurückgelassene Ausrüstung. Zerstörte Handkarren, weggeworfene Rucksäcke und Taschen, verendetes Vieh, all das lag noch immer dort oben als stumme Zeugen der mörderischen Tortur, die diese Überschreitung für die Fomorer gewesen sein musste.
Sein Vorsprung war nun nicht mehr allzu groß. Bis zum Sognefjord würden sie ihn zwar nicht mehr einholen, aber irgendwie musste der Schwarze Baum den Fjord auch überqueren. Er hatte mit Sicherheit Fähren, aber es dauerte eine lange Zeit, einen so großen Tross überzusetzen.
Darin lag der Grund für die Eile, in der die Waldläufer ritten. Im Moment lagerte irgendwo an diesem Fjordufer eine Gruppe von mehr als fünfhundert Männern, Frauen und Kindern mitsamt ihrem Hab und Gut, ihren Vorräten, ihrem Vieh und vor allem ihren Ängsten und Befürchtungen, bewacht von vielleicht fünfzig Kriegern. Sie waren in
höchstem
Grade verwundbar. Wenn Derrien mit seinen hundert disziplinierten und erfahrenen Waldläufern dort angreifen würde, würde er im Chaos der Massenpanik alle Trümpfe in der Hand halten. Rushais fünfzig hätten kaum eine Chance, sich gegen Derrien zur Wehr zu setzen.
Das einzige Risiko bestand darin, vorzeitig entdeckt zu werden. Wenn Rushai Zeit hatte, sein Lager auf einen Angriff vorzubereiten, würde sich der Spieß umdrehen. Deshalb mussten die Waldläufer trotz aller Eile vorsichtig bleiben.
Nun war der Sognefjord nur noch einen Tagesritt entfernt. Vermutlich war Rushai gestern Abend dort angekommen. Je nachdem, wo genau seine Fähren lagen, würde er wahrscheinlich bald damit beginnen, seine Leute überzusetzen. Nun hing alles davon ab, wie viele Fähren er besaß, wie schnell er arbeitete, wie gut die verängstigten Fomorer mitmachten. Und wie schnell die Waldläufer vorankamen, ohne entdeckt zu werden.
Das Wetter hatte sich in den letzten Tagen ziemlich verändert. Es war kälter geworden, nächtliche Schneefälle hatten nicht nur die Berge, sondern auch die Täler und Fjordufer eingeschneit, doch seit heute wehte wieder eine wärmere Luft von Westen her. Sie hatten am Vorabend den Lustrafjord erreicht, einen Ausläufer des Sognefjords, und ihn heute wieder verlassen. Sie folgten weiterhin Rushais Spuren, die sich parallel zum Fjord durch ein Tal zogen. Zu ihrer Rechten erhoben sich die verschneiten Riesen des Jostedals, während links eine niedrigere Hügelkette das Tal vom Fjord trennte. Der Weg führte durch einen lichten Mischwald aus graugrünen Fichten und kahlen Laubbäumen, in dessen Geäst sich Kreuzschnäbel und Tannenhäher um die letzten Fichtenzapfen balgten.
Kurz nach Sonnenaufgang trafen sie auf die Kundschafter, die Derrien noch in der Nacht vorausgeschickt hatte. Sie berichteten von einem großen Dorf, das jenseits des Waldrandes im Süden lag. Die Späher hatten es nicht gewagt, über die Felder zu reiten und sich die Siedlung näher anzusehen – zu groß war ihnen die Möglichkeit erschienen, von einem Posten auf den umliegenden Gipfeln gesehen zu werden oder im Dorf selbst auf eine Falle zu stoßen. Von ihnen vorgewarnt, ritt Derrien erst einmal mit einer kleinen Gruppe aus Druiden und Hauptmännern voraus.
Er glaubte nicht, dass dieses Dorf anders sein würde als die davor. Sie würden wieder einen Toten finden, auf die gleiche Art und Weise umgebracht wie die vielen anderen zuvor, jeder an eine entstellte schwarze Eiche gefesselt. Die Funde hatten Derrien verbittert. Er war zu spät gekommen. Ryan hätte eine Chance gehabt,Quintus’ Männern noch rechtzeitig zu Hilfe zu eilen, doch der Ire hatte lieber gewartet. Derrien konnte nun nichts anderes tun, als die Toten zu begraben und die Bäume umzuschlagen.
Er war sich immer noch nicht sicher, was der Schwarze Baum damit eigentlich bezweckte. Der Schattenlord vergeudete wertvolle Zeit. Derrien hätte eigentlich eine Falle erwartet, damit
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