Schattenkrieg
nicht, wofür.« Dann befahl er Antonius: »Lass vorerst Entwarnung blasen. Wartet bis Mittag auf meine Rückkehr. Dann schickt einen Boten nach Allobroga und meldet, was vorgefallen ist.«
»Jawohl, Herr.« Während Salerix weitere Instruktionen gab, holte Ribaldus seine Spürhunde aus dem Zwinger. Die Meute knurrte und bellte, während der Mann die widerstrebenden Hunde anleinte, doch schließlich war auch er so weit.
»Das Tor«, brummte Salerix.
»Öffnet das Tor!«, wiederholte Antonius. »Die Götter mögen Euch beistehen!«
»Sehn uns sonst als Ahnen wieder.« Salerix gab dem Pferd die Sporen und ritt los, den Reitertrupp anführend. Baturix hielt sich aus Gewohnheit neben ihm – als Cintorix’ Bannerträger war es seine Aufgabe, bei seinem Anführer zu bleiben. Manche Gewohnheiten waren schwer abzulegen.
Es war noch dunkel. Im Osten war gerade mal ein grauer Streifen über den Berggipfeln zu erkennen. Nur dem hellen Schnee war es zu verdanken, dass sie nicht völlig blind durch die Finsternis reiten mussten, denn das Licht ihrer Fackeln reichte im Morgennebel noch nicht einmal bis zum Boden. Nachdem sie die Weiden hinter sich gelassen und den Wald erreicht hatten, wurde die Dunkelheit noch intensiver. Außer dem vom Schnee gedämpften Hufgetrappel und dem Schnauben der Pferde herrschte Totenstille, nur gelegentlich von einem Bellen unterbrochen. Schneebedeckte, graue Fichten bewachten den Weg, dazwischen vereinzeltekahle Eichen und Buchen. Lange Flechtenbärte hingen von den Fichtenzweigen herab und erschreckten Baturix mehrmals, als er glaubte, darin Menschen zu erkennen. Zum ersten Mal, seitdem er in der Innenwelt lebte, glaubte er zu verstehen, warum vor allem Nadelbäume den Kriegsaspekt der Druiden verkörperten – zu sehr erinnerte ihn der Wald an eine Armee vergessener Krieger.
Das Eisen seines Helms leitete die Kälte durch die wattierte Unterkappe und ließ Baturix die Zähne zusammenknirschen. Auch die anderen Männer schwiegen verbissen. Sie hatten Angst. Was war, wenn zu viele Schatten unter den flüchtigen Fomorern waren? Oder wenn sie auf Verbündete gestoßen waren, die sich am Südufer des Sognefjords herumtrieben? War es
das
, was Salerix fürchtete? Ritten sie deshalb jetzt, statt das Tageslicht abzuwarten? Um zu verhindern, dass sich die Flüchtigen mit anderen Fomorern zusammenschlossen? War es das Risiko wert, bei Nacht zu reiten und den Sturz eines Pferdes in Kauf zu nehmen, eventuell gar den Tod eines Reiters? Salerix selbst konnte ein gebrochenes Genick ja nicht umbringen …
Baturix seufzte und war froh, nicht selbst solche Entscheidungen treffen zu müssen.
Nach etwa einer halben Stunde hob Salerix die Hand und zügelte sein Pferd. »Die Hunde«, befahl er und stieg ab.
Ribaldus nahm die Leinen vom Sattelhorn. Er stieg ebenfalls ab und flüsterte jedem der Tiere ins Ohr: »Such!« Aufgeregt und mit wedelnden Schwänzen begannen sie, mit den Schnauzen am Boden nach der Fährte zu stöbern.
Baturix’ Pferd scheute etwas, als die Hunde um seine Beine herumschnüffelten. Er ließ den Wallach zur Seite tänzeln und beugte sich nach vorne. »Ruhig, Vitellius. Ruhig! Ich kann sie auch nicht leiden …«
Über das Pferd gebeugt, erspähte er am Wegesrand unter den Ästen einer Fichte einen kurzen, verwitterten Pfosten, auf dem der mit Moos bewachsene Schädel eines Wildschweins hing. Es musste sich um eine der magischen Markierungen handeln, die sievor den Schatten gewarnt hatten. Er stieg ab und ging vor dem Pfahl in die Knie. Leise murmelte er: »Tarannis, Herr der Jagd, hab Dank für die Warnung, die Du uns gegeben hast. Ich bitte Dich darum, steh uns bei, denn auch wir sind auf der Jagd. Halte Deine schützenden Hände über uns.« Baturix wollte noch weiterbeten, doch die Hunde hatten inzwischen die Fährte gefunden und zerrten wild bellend an ihren Leinen. Ribaldus konnte sie nur noch mit Mühe zurückhalten.
»Aufsitzen«, murmelte Salerix so leise, dass einer der Männer den Befehl wiederholen musste. Baturix schwang sich zurück auf Vitellius’ Rücken. Als sie weiterritten, war ihm klar, dass sie die Fomorer keinesfalls überraschen würden – das Gekläff der Hunde war so laut, dass es wahrscheinlich noch auf der anderen Seite des Fjords zu hören war. Ribaldus ritt voran, dicht gefolgt von Salerix, Baturix und den anderen. Sie schlugen nun eine hastigere Geschwindigkeit ein als vorher.
Inzwischen hatte die hinter ihnen aufgehende Sonne die nächtliche
Weitere Kostenlose Bücher